Geschichte von Ahmand Al Sulayman

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Kapitel I – Ein ereignisreicher Tag

Ich erwachte. Verträumt und orientierungslos blickte ich mich in meinem Zimmer um. Für gewöhnlich wurde ich von nur zwei Geräuschen geweckt: Dem Frühstücksgong oder dem ekelerregenden Geschrei der Pfauen aus dem Palastgarten. Mistviecher, irgendwann würde ich ihnen den Hals umdrehen. War es wirklich schon die Zeit zum Frühstücken? Jedenfalls war es schon sehr hell, aber was machte es schon? Lieber noch einmal umdrehen, denn ich bekam morgens sowieso keinen Bissen runter. Gerade als die Wärme und Geborgenheit meines Bettes mich wieder zum Wegdämmern brachte, polterte jemand in mein Zimmer. Ich brauchte nicht einmal hinzusehen, so stürzte nur eine Person rein, Kara. Daß mein altes Kindermädchen den Raum betrat, konnte nur eines bedeuten. Ich hatte also doch mal wieder verschlafen und Kara wurde von meinem Vater, der bestimmt schon wieder vor Wut rot im Gesicht war, geschickt, um seinen »verzogenen, verweichlichten, bla bla bla, Sohn« zu holen. Als ob es ihm wichtig wäre, mich bei sich zu haben. Vater genoß meine Anwesenheit genauso wie ich seine, wenigstens darin waren wir uns einig, aber beim Frühstück ging es ums Prinzip, um sein Prinzip. »Junger Herr, wacht auf! Euer Vater ist voller Ungeduld. Er sagte, wenn Ihr in zehn Minuten nicht zu Tische seid, wird er Euch eigenhändig übers Knie legen.« Wie originell, wieder einmal eine Drohung, die er sowieso nicht umsetzen würde. Seit Mutters Tod versuchte er sich immer öfter und immer erfolgloser gegen mich durchzusetzen. Sei´s drum, um des lieben Burgfriedens willen, ging halt kein Weg dran vorbei. Also, rein in die Hose, das Hemd übergezogen und dann ganz langsam in den Speiseraum geschlurft. Dabei durfte ich nur keinen Elan zeigen, sonst könnte er noch auf den Gedanken kommen, daß seine leeren Drohungen bei mir tatsächlich wirken würden. Es lag ein langer und beschwerlicher Weg vor mir. Ich mußte zwei Treppen überwinden, den Bediensteten ausweichen und gegen das Schwindelgefühl ankämpfen, das mich zu Boden zu ziehen versuchte. Ich hatte wieder mal den Großteil der letzten Nacht heimlich in Gesellschaft meiner Freunde verbracht. Den Krug voller Xeth, der Geruch der Wasserpfeife und die Vorstellung eine schöne Frau im Arm zu haben, in diesen Momenten vergaß ich diesen verfluchten Flecken Grüns inmitten der Wüste Xill, meinen Geburtsort. Was gab es hier denn schon? Ein paar Oasen, die den Menschen ein bescheidenes Leben sicherten, der kleine Palast, in dem der Amir dieser Einöde, mein Vater, mit seiner Familie lebte und alle zwei Wochen eine Karawane, die Neuigkeiten aus dem Rest der Welt brachte. Ich war an einen Ort gebunden, an dem man nur als Verbannter oder Verrückter lebte. Die einzige Möglichkeit, dies für ein paar Augenblicke zu vergessen, war mit meinen Freunden zu feiern. Ihnen ging es ähnlich. ihre Väter waren Soldaten oder Beamte, die meinem Vater dienten und wir alle träumten von der großen, weiten Welt und den Abenteuern, die ein junger Mann bestehen konnte. Große exotische Städte, geheimnisvolle, wunderschöne Frauen, prunkvolle Paläste und fremde Länder, all dies wartete geradezu darauf von uns entdeckt zu werden. Aber wie konnte man der tödlichen Langeweile hier, am Rand der Welt entfliehen?

Der Weg der meisten von uns war schon seit der Geburt vorbestimmt. Wir waren alt genug dies zu erkennen, aber zu jung dem zu entkommen. Ich wurde vor fünfzehn Jahren als vierter Sohn des Amirs Umru Al Sulayman und seiner lieblichen und wunderschönen Frau Marianah geboren. Mein Vater lernte sie am Hofe des damaligen Padischa kennen, anläßlich dessen Krönung, bei der auch mein Vater als entfernter Verwandter zugegen war. Marianah stammte aus einem alten Händlergeschlecht mit besten Kontakten zum Königshaus. Anstatt meinem Vater einen Korb zu geben, ließ sie sich von seinem ungehobelten Provinzcharme einwickeln und folgte ihm anschließend in sein Amirat. Bald nach ihrer Hochzeit wurde sie schwanger. Mein ältester Bruder Tarafa wurde geboren. Er wurde, wie es bei so traditionsbewußten Momsaru, einer der drei großen yaromesischen Volksgruppen Sitte ist, zum alleinigen Erben des Amirats erzogen. Ein Jahr später kam Antara zur Welt. Um den Einfluß der Familie zu vergrößern, wurde er dazu erzogen Yaromo als Offizier in der Reitergarde des Padischas Ferret Al Dos, zu dienen. Nach weiteren zwei Jahren erblickte mein dritter Bruder Etamet das Licht der Welt. Und auch hier bestimmte der Brauch der Momsaru sein Leben. Als Drittgeborener wurde er ein Priester des BEK. Zehn Jahre verstrichen bis meine Mutter wiederum einen Sohn gebar. Mich, Ahmand Al Sulayman. Für meine Mutter war es, aufgrund ihres Alters, eine überaus schwierige Geburt. Sie sollte sich niemals mehr gänzlich von den Strapazen erholen. Ihr Zustand verschlechterte sich über die Jahre immer mehr. Die Ärzte rieten ihr zu ihrer Familie in die Hauptstadt zurück zukehren, da dort die bessere ärztliche Versorgung, wie auch das Klima, für ihre Genesung zuträglicher gewesen wären. Aber sie weigerte sich auch nur darüber nachzudenken. Ihr Platz sei bei ihrem Mann. Meinem Vater schien dies zu gefallen, denn anstatt sie einfach wegzuschicken, wie es ein fürsorglicher Ehemann sicher getan hätte, erlaubte er ihr zu bleiben. Mutter starb als ich neun Jahre alt war an einem Schwächeanfall. Ich konnte damals nicht verstehen, daß ich sie nie mehr wiedersehen würde, daß sie einfach aufgehört hatte zu leben. Aber ich hatte genug mitbekommen, um zu verstehen, wer dafür verantwortlich war. Mein Vater, dieser selbstsüchtige Bastard. Sie war seine Frau und sie oblag seiner Verantwortung. Er war es, der mir die Mutter nahm, von der mir nichts geblieben ist, als ein paar Erinnerungen und ein silberner Anhänger in Form eines Zweiges. Marianah, der Name meiner Mutter, ist gleichzeitig auch der Name eines Strauches aus dem Parfüm gewonnen wird. Ihre Familie verdankte ihren Wohlstand dieser Pflanze, der zu ehren meine Mutter benannt wurde. Das stilisierte Symbol dieses Strauches trug sie ihr Leben lang als Anhänger um ihren Hals. Um meinen Vater daran zu erinnern was er mir genommen hatte und weil ich sie so sehr vermißte, trug ich ihn vom Moment ihres Todes an, auf meinem Leib. Omjaiden, ein Priester des Bek, der schon meine älteren Brüder unterrichtete und Kara, mein Kindermädchen, ersetzten mir von da an Vater und Mutter. Mein feiger Vater ging mir immer mehr aus dem Weg. Wir sahen uns nur noch beim Frühstück und dort hielt er mir ständig vor, welche Enttäuschung ich für ihn sei und daß ich mir ein Beispiel an Tarafa nehmen sollte, mein ältester Bruder und der ganze Stolz meines Vaters. Mittlerweile hörte ich die Leier jeden Tag. Tarafa hier, meine anderen Brüder da. Niemand hatte mich gefragt, ob ich mit der mir zugedachten Rolle als Viertgeborener zufrieden war. Nach der Sitte ist es die Aufgabe aller weiteren Söhne, den Vater und die ersten drei zu unterstützen, die Familie zu erhalten und deren Reichtum und Einfluß zu mehren. Eine ehrenvolle Aufgabe, aber im Klartext hieß das, eine Frau heiraten, die meine Familie für mich aussuchen würde. Mein Weg war also vorbestimmt. Es war egal, wann ich aufstand, wie gehorsam, intelligent oder geschickt ich war, oder welche Fähigkeiten ich mir aneignen würde. Es hatte alles keinen Einfluß auf mein Leben. Also traf ich mich immer öfter mit meinen Freunden, um zu trinken, zu rauchen und diesem Elend wenigstens in meiner Phantasie zu entfliehen.

Mein Schädel pochte, als ich das Eßzimmer erreichte. Mein Vater, wie auch Tarafa waren bereits fertig, blieben aber wie immer sitzen, um zu kontrollieren, ob ich wirklich kommen würde. Tarafa lächelte mich nur an. Eigentlich verstanden wir uns. Auch er hatte lange gelitten als Mutter starb. Leider war der Altersunterschied zu groß. Als ich ihn als Bruder dringend gebraucht hätte, war er schon mit der Verwaltung der Ländereien beauftragt. Zumindest hat er mich nie behandelt als wäre ich noch ein Baby. Meine anderen Brüder mußten frühzeitig das Haus verlassen, um ihren Bestimmungen zu folgen. Wir sahen uns nur einmal jährlich. Vater sah mich an. Er hatte schon wieder diesen mitleidigen Geschichtsausdruck, den er immer aufsetzte, wenn er enttäuscht von mir war. »Endlich ausgeschlafen? Was treibst Du nachts, anstatt zu schlafen, wie Du es solltest?« Wie immer gab ich ihm keine Antwort. Er sprach weiter: »So kann es nicht mit Dir weitergehen. Setze Dich, ich muß mit Dir reden.« Da ich keine Anstalten machte mich zu setzten, fuhr er mich wütend an! »Dann bleib stehen, wenn Dir das lieber ist, denn es ändert nichts. Ich weiß, daß Du den Tod von Marianah nie verwunden hast und daß Du, warum auch immer, mir die Schuld an ihrem Tod gibst. Glaube nur nicht, daß ich nicht um sie getrauert hätte, ich tue es noch immer. Und glaube auch nicht, daß Deine Provokationen mich nicht verletzt hätten. Du hast mir klar zu verstehen gegeben, daß ich nicht nur mein geliebtes Weib, sondern auch noch einen geliebten Sohn verloren habe. Du hast ein Problem mit mir und statt es mit mir zu klären, kommen von Dir nur feige Anspielungen. Auch ich habe ein Problem, denn ich trage die Verantwortung für die Menschen hier und deshalb hatte ich nie die Zeit und auch nicht die Lust, auf Deine Kindereien einzugehen, aber was weißt Du schon von Verantwortung. Das ist auch der Grund warum ich mit Dir reden will. Ich habe letzte Nacht lange mit Omjaiden, Deinem Lehrer, gesprochen.« Er hielt mich für feige und die Liebe zu meiner Mutter für Kindereien? Und natürlich hat er seine Frau verloren, er war es, der sie in den Tod getrieben hat. Bastard, irgendwie würde ich es ihm heimzahlen. Was hat er noch gesagt, er hatte mit Omjaiden gesprochen, diesem alten Tattergreis? Er kennt mich zwar wie kein zweiter, aber warum sollte Vater Wert auf seine Meinung legen? Omjaiden dient unserer Familie jetzt seit über dreißig Jahren und er müßte jetzt weit mehr als sechzig Jahre alt sein. Ich hatte früher einmal Gerüchte gehört, daß er ein mächtiger Priester war, der sich selbst eine Art Verbannung auferlegt hatte und deshalb bei uns im Nirgendwo lebte. Ich habe diesen Gerüchten nie glauben können. Omjaiden war das genaue Gegenteil von einem mächtigen Priester, wie ich ihn mir vorstellte. Er lebte stets in stiller Bescheidenheit, unterzog sich selbst auferlegten Kasteiungen und pflegte keinen Kontakt zu anderen Priestern, oder seinem Orden. Lebte so ein mächtiger Priester? Bestimmt nicht. Was hatten diese beiden Alten nur ausgeheckt? Was war so wichtig, als daß sich mein Vater mit jemandem über mich unterhalten würde? »Ahmand, hörst Du mir überhaupt zu?« »Ja, Vater.« Die bittere Betonung des letzten Wortes hatte ich tausendfach geübt. »Also, Omjaiden und ich sind der Meinung, daß es für alle besser wäre, wenn Du uns für einige Zeit verlassen würdest. Er behauptet, Du hättest ein besonderes Potential in Dir, das er wecken will, was immer er damit meint, aber ich vertraue ihm. Damit Du den Umfang meiner Entscheidung verstehen kannst, will ich Dir etwas von Omjaiden erzählen, das Du vielleicht noch nicht weißt. Ich kenne Omjaiden länger als Deine Mutter. Er war damals ein junger, feuriger Priester. Seine Predigten waren voller Überzeugung und Elan und wenn er über BEK sprach, glühten seine Augen nahezu. über seine Herkunft schwieg er sich immer aus, aber es störte niemanden, denn er war ein brillanter Priester, dem eine steile Karriere vorausgesagt wurde. Zwei Jahre nachdem ich Deine Mutter zur Frau nahm, stand er plötzlich vor dem Tor. Irgend etwas war in ihm zerbrochen, das sah man auf den ersten Blick, aber er wollte keine Fragen beantworten. Er bat darum, mir als Priester zur Seite stehen zu dürfen, ich gewährte ihm diesen Wunsch und übertrug ihm Eure Erziehung. Er sollte Euch zu gottesfürchtigen und tüchtigen Söhnen machen und es ist ihm bei fast allen gelungen. Er versicherte mir, daß auch Du noch Deinen Weg finden würdest und daß er Dich dabei begleiten wolle, weil es, wie er sagte, seine von BEK auferlegte Buße sei. Also höre meine Worte. Du verläßt morgen mit Omjaiden dieses Haus und schließt Dich der Karawane an. Sie werden euch durch die Wüste bringen. Dann folgst Du ihm, um Deine Bestimmung zu finden. Für euer Auskommen wird gesorgt sein. Du tust, was er Dir sagt, denn er ist von jetzt an voll für Dich verantwortlich. Du wirst erst wieder in diesem Haus willkommen sein, wenn Omjaiden der Meinung ist, daß es an der Zeit ist. Hast Du das alles verstanden?«

Ich starrte meinen Vater mit großen Augen an. Nach einem Moment wurde mir bewußt, daß ich noch meinen Mund offen stehen hatte. Ob ich verstanden hätte? Natürlich hatte ich verstanden. Endlich kam ich hier raus! Weg aus diesem Mief. Sprachlos rannte ich aus dem Zimmer direkt zu Omjaidens Gemächern. Ohne anzuklopfen trat ich ein. Er saß wie immer in seinem großen Ledersessel, umgeben von Büchern, ausgestopften Tieren, magischen Symbolen und anderem Schnickschnack. Konzentriert schaute er auf das Spielbrett mit unserer noch offen stehenden Partie Schahinschah. Dabei drehte er wie immer seinen langen, weißen Schnurrbart. »Habe ich Dir nicht beigebracht anzuklopfen, bevor Du einen Raum betrittst?« Ich konnte nicht an mich halten: »Omjaiden, ist es wahr, wir gehen zusammen weg? Wohin werden wir gehen? Warum hast Du nicht schon früher etwas gesagt?« Ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen zeigte seine Hand zu dem ihm gegenüber stehenden Holzstuhl. »Nimm Platz, Du bist am Zug.« War es denn die Möglichkeit? Gerade hatte ich die beste Nachricht meines Lebens erhalten und dieser alte Mann wollte mit mir spielen. »Omjaiden, bitte, erzähle mir was...« Wütend und mit blitzenden Augen fuhr er mich an:»Du sollst Dich setzen und Deinen Zug machen!« Verdutzt sank ich auf den Stuhl. War das der alte Omjaiden? Der Omjaiden, der verschusselt Selbstgespräche führte und der immer und überall seine Sachen verlegte? Was hatte Vater über Omjaidens glühende Augen gesagt. Plötzlich konnte ich diesen jungen Priester deutlich vor mir sehen. Machtvoll sein Auftreten und hingebungsvoll seine Lehre. »Hast Du meinen Zug gesehen?« fragte er Ach ja, das Spiel. Wenn er unbedingt drauf bestand blieb mir wohl keine andere Wahl. Je schneller das Spiel beendet war, desto schneller würde er reden. »Du hast Deine Reiter verschoben. Sie bedrohen meine Königin.« »Ganz genau, wollen wir mal sehen wie Du da wieder heraus kommst.« Omjaiden brachte mir das Schahinschah im Alter von sechs Jahren bei, seitdem war es stets ein Kräftemessen, bei dem er immer öfter verlor. Ich verschob meinen Belagerungsturm zwei Felder nach links. »Bist Du sicher, daß das ein guter Zug war?« fragte er mich, während er mit einem Haifischgrinsen meine Königin schlug. »Ich denke schon, Du bist immer so gierig und übersiehst dadurch das Offensichtliche.« Ich zog meine Offiziere diagonal über das Feld und schlug seine Infanterie, gleichzeitig setzte ich seinem Schah das Messer an den Hals. Eingekeilt zwischen seine Truppen konnte er sich nicht bewegen und meine Figur war durch den Belagerungsturm geschützt »Matt! Und jetzt erzähle mir endlich, was das alles zu bedeuten hat.« Omjaiden stand die Verblüffung über dieses schnelle Ende noch immer im Gesicht geschrieben. »Wann habe ich das letzte Mal gegen Dich gewonnen? Du bist einfach zu gut für mich geworden, oder ich zu schlecht für Dich. Aber Du willst ja Antworten von mir. Ich habe Deine Entwicklung in der letzten Zeit genau beobachtet. Die Trauer um Deine Mutter, den für meine Begriffe unbegründeten Haß auf Deinen Vater, die kleinen Orgien, die Du mit Deinen Freunden feierst. Du bist auf dem besten Wege, ein Tunichtgut zu werden. Aber ich persönlich denke, daß mehr in Dir steckt. Wenn ich nicht dieses Gefühl hätte, könntest Du weiter machen wie bisher und irgendwann als der fette und versoffene Sohn Deines Vaters in die Geschichte dieses Amirats eingehen. Aber ich verlasse mich auf mein Gefühl und bin ab heute gänzlich für Deine Erziehung verantwortlich.« Verblüfft starte ich ihn an: »Wie meinst Du das, von wegen in mir würde mehr stecken. Vater gegenüber hast Du wohl auch so eine Andeutung gemacht, er sagte etwas von einem wahrscheinlichen Potential.«

»Du hast aufmerksam zugehört, wie ich es von Dir gewohnt bin. Ich meine damit, daß Du eine bestimmte Fähigkeit besitzt, die ich an Dir schon im Kindesalter festgestellt habe. Weißt Du noch wohin Du geschaut hast, als Du mich matt gesetzt hast?« »Natürlich, ich habe auf das Brett gesehen, wohin denn sonst?« »Falsch. Du glaubst, daß Du auf das Spiel gesehen hast. Das ist ein großer Unterschied. In Wirklichkeit hast Du mir in die Augen gesehen, um Deinen Triumph auszukosten. Es sind die Kleinigkeiten. Schon als Kind konntest Du die Schahinshach - Figuren aufstellen, sogar nach Farbe sortiert, ohne auch nur einen Blick drauf zu werfen. Beim Versteckspielen wußtest Du immer wo ich war. Auf die Dauer war es ganz schön langweilig. Verstehst Du was ich Dir damit sagen will? Diese Fähigkeit, nennen wir sie einmal den siebten Sinn oder Intuition, läßt sich trainieren. Niemanden außer mir ist es jemals aufgefallen, nicht einmal Dir selbst. Ich kenne allerdings einen Ort, an dem Menschen mit dieser oder ähnlichen Begabungen geschult werden. Stelle Dir vor, Du wüßtest automatisch wo Gefahr lauert, oder Du würdest fühlen, wenn ein Pfeil aus dem Hinterhalt auf Dich geschossen wird. Das ist es, was ich mit Potential meine.«

Ungläubig sah ich ihn an: »Ich verstehe noch nicht genau, was Du mir damit sagen willst. Es stimmt jedenfalls, daß mir diese Sachen noch nicht aufgefallen sind. Und was für ein geheimnisvoller Ort soll das sein, wo Du mich hinbringen willst?« Er lächelte wissend: »Alles zu seiner Zeit. Wenn Du also mit mir aufbrechen willst, sind daran ein paar Bedingungen geknüpft. Erstens: Du gehorchst mir auf´s Wort. Ich werde keine Diskussion und Widerrede Deinerseits akzeptieren. Zweitens: Keine Fragen. Du wirst alles zu seiner Zeit erfahren. Hast Du das verstanden?«

Er sah mich durchdringend an. Wer war dieser Mensch? Was war aus dem Omjaiden geworden, den ich kannte, der mich in den Arm nahm oder auf dessen Knie ich geschaukelt wurde? »Ja, ich habe Dich verstanden. Ich verspreche, mich an diese Regeln zu halten und alles zu tun, was Du von mir verlangst. Sag was zu tun ist, ich werde es machen, nur bring mich hier raus.« Omjaiden betrachtete mich lange, dann erhob er sich und räumte das Spielbrett vom Tisch. An dessen Stelle plazierte er eine Öllampe. Über der Flamme erhitzte er einen Steintiegel. Dieser wurde normalerweise dazu benutzt, bei seinen Experimenten Metall einzuschmelzen. Fragend sah ich ihn an. Als der Tiegel heiß war, sah er mir in die Augen: »Gib mir Marianah s Anhänger!« Blankes Entsetzen durchfuhr meinen Körper. »Das kann nicht Dein Ernst sein! Warum willst Du mein einziges Andenken an meine Mutter zerstören? Wenn Du mich prüfen willst, dann tue es auf eine andere Weise, aber laß meine Mutter aus dem Spiel.«

Er schüttelte den Kopf. »So genau nimmst Du es also mit Deinen Treueschwüren? Was hast Du noch vor ein paar Minuten zu mir gesagt. Du würdest alles tun was ich von Dir verlange? Du kennst meine Bedingung, akzeptiere oder laß es. Du hast die Wahl.« Warum tat Omjaiden mir das an? Ich verstand nicht, warum er ausgerechnet diesen Beweis von mir forderte. »Omjaiden, ich flehe Dich an, verlange etwas anderes von mir.« Er schüttelte nur wieder seinenKopf. Ich würde wütend. »Du warst wie ein Vater für mich, ich hätte wissen müssen, daß es so endet. Mein richtiger Vater nahm mir meine Mutter und Du willst mir die letzte Erinnerung nehmen, die mir geblieben ist. Was habe ich Dir getan, daß Du mich so strafen mußt. Habe ich etwa Bek gelästert, oder jemandem etwas zuleide getan. Warum tun mir alle nur so weh. Kann ich nicht einfach glücklich sein wie andere Menschen auch. Und jetzt werde ich auch noch von Dir verraten, was habe ich Dir nur getan?«

Omjaiden stand langsam auf und kam mir mit ausgebreiteten Armen entgegen. Eine Geste der Versöhnung. Gewillt sie anzunehmen ging ich auf ihn zu. Ich entdeckte das Blitzen in seinen Augen leider zu spät. Sein Handrücken schlug mit so einer Wucht in mein Gesicht, daß ich zu Boden ging. »Weißt Du was Dein Fehler ist, Du kleine Kröte? Es sind immer die anderen Schuld. Deine Mutter ist vor sechs Jahren gestorben und Du hast es nie geschafft Dich von ihr zu verabschieden. Statt dessen tyrannisierst Du mit Deinem Verhalten Deine Familie. Nicht nur, daß Dein Vater seine Frau verloren hat, er wird auch noch jeden Tag von Dir angeklagt. Glaubst Du allen Ernstes, daß er daran Schuld war? Es war die Entscheidung Deiner Mutter zu bleiben, weil sie Deinen Vater und Euch Kinder so sehr liebte. Du hast ihm nie auch nur den Hauch einer Chance gelassen. Den einzigen Fehler den er begangen hat ist, daß er Dir alles hat durchgehen lassen hat. »Omjaiden, der Junge trauert, ich weiß nicht was ich machen soll«, hat er immer gesagt. Ich wußte auch keine Lösung, aber ab und zu hätte er Dir einfach mal den Hosenboden stramm ziehen sollen.«

Langsam setzte er sich wieder in seinen Sessel und fuhr mit ruhiger Stimme fort: »Ich werde Dir sagen, warum ich gerade diesen Treuebeweis von Dir will. Ich will, daß Du Dich befreist. Nicht von Deinem Vater oder dieser Einöde, sondern von Dir selbst. Wenn Du Deiner Mutter ein Denkmal setzten willst, dann kannst Du es nur aus dem Gefühl der Dankbarkeit und der Ehre. Nicht aus Trauer und schon gar nicht als Vorwand für Dein unmögliches Verhalten. Wenn Du mich begleiten willst, dann als Mann, der für sein Verhalten einstehen kann und nicht alle anderen dafür verantwortlich macht. Begleite mich, oder laß es. Aber entscheide Dich endlich und höre auf zu lamentieren.«

Obwohl Omjaiden saß, sah er mich an wie ein Adler, der nur darauf wartete sich auf seine Beute zu stürzen. Mein Gott, wie hatte ich diesen alten Mann unterschätzt. Was mir aber die Tränen in die Augen schießen ließ, war die Tatsache, daß sich Omjaiden mit den Anderen gegen mich verschworen hatte. Er, der immer auf meiner Seite stand, mir Trost spendete, wenn mir zum Weinen war, dem ich bedingungslos vertrauen konnte, auch er hackte jetzt auf mir herum. Mein Herz zog sich in der Brust zusammen. Jetzt hatte ich niemanden mehr, auf den ich mich verlassen konnte. Ich saß in der Falle. Genau dieses Gefühl überkam mich, als ich vor Omjaiden auf dem Boden lag. Wie ein kleines Tier, das spürte, daß es jeden Moment zu einer Mahlzeit werden würde. Es blieb mir nur die Flucht. Die Flucht an einen Ort, wo mich niemand finden konnte. Wo ich Luft zum Atmen hatte und mich kein Mensch am Überlegen hindern würde. Mit tränenüberströmtem Gesicht sprang ich auf und rannte zur Tür. Es dauerte einen Augenblick bis mir gewahr wurde, daß die Türe nach innen auf ging und nicht nach außen. Dann stand mir nichts mehr im Weg. Ich stürzte den Flur hinunter, nahm die Treppe zum Hof in Riesenschritten, ohne darauf zu achten, wer meinen Weg kreuzen könnte. Nach unglaublich langer Zeit kam ich im Garten zur Ruhe. Mein Herz raste, meine Lunge pumpte unaufhörlich Luft in meinen Körper, aber ich hatte es geschafft dieser Situation zu entkommen. Nun stand ich da, umgeben von Bäumen und Sträuchern, von Blumen und diesen widerlichen Pfauen. Was war in den letzten Stunden mit mir passiert?

Zuerst mein Vater, der mir in Aussicht stellte, von hier wegzukommen, dann Omjaiden, der mich erst versprechen ließ ihm zu gehorchen, aber dann ein doppeltes Spiel mit mir spielte. Ich fühlte mich so entsetzlich allein. Wie immer wenn ich angestrengt nachdachte ging ich auf und ab. Die Hände hinter meinem Rücken erschlossen, den Blick gesenkt. Gesprächsfetzen schossen durch meinen Kopf. Was hatte Omjaiden doch gleich über meine Mutter und meinen Vater gesagt? Sie wollte ihn nicht verlassen, obwohl sie angeblich wußte wie es um sie stand? Mein Vater konnte ihr diesen Wunsch nicht verwehren? War es wirklich so passiert? Konnte ich Omjaiden jetzt noch vertrauen? Fragen über Fragen. Omjaiden war mir stets wie ein guter Freund, fast ein Vater gewesen. Auch wenn er sich gerade auf eine Art und Weise veränderte, die ich nicht nachvollziehen konnte, war er doch all die Jahre für mich da. Welchen Grund sollte ich also haben, seinen Worten zu mißtrauen?

Ich konnte kaum atmen vor Schreck. Was war das, was da gerade mit mir passierte. Sollte Omjaiden etwa mit seinen Behauptungen Recht haben? War ich wirklich nur das verzogene Jüngelchen, das die Schuld nur bei anderen suchte, statt bei sich selbst? Meine Schritte wurden immer schneller. Die Gedanken schossen mir geradezu durch den Kopf. Erinnerungen an Gespräche, an Gefühle. Wenn ich es aus dieser Perspektive betrachtete, schien es tatsächlich zu stimmen. Mein Vater hatte nicht den Hauch einer Chance gegen das Bild anzukommen, welches ich mir von ihm gemacht hatte. Meine Brüder genauso wenig. Aber warum hatte mir nicht schon früher jemand die Augen geöffnet? Wieviel Leid wäre meiner Familie erspart worden. Hätte doch nur jemand mir früher... Ich machte den Fehler schon wieder. Ich mußte wirklich aufpassen, in welchen Bahnen ich dachte. Der Punkt war nämlich, daß ich selbst zu dieser Erkenntnis schon viel früher hätte kommen können, wenn ich nur die Augen auf gemacht hätte. Ich würde wirklich mehr aufpassen müssen, was um mich herum passierte. So, das hatte ich für mich geklärt. Aber was war mit den anderen? Konnte ich etwa meinem Vater so Unrecht getan haben? Wenn das stimmte wie könnte ich ihm dann noch in die Augen sehen.Oder meinen Brüdern. Wie könnte ich noch länger mit ihnen unter einem Dach leben?

Ich mußte zurück zu Omjaiden. Meine Entscheidung stand fest. Ich würde mit ihm in die Welt ziehen und ein Mann werden. Vielleicht könnte ich dann mit meinem Vater reden. Aber jetzt schien mir das zu schwierig. Gerade hatte ich festgestellt, daß ich mich all die Jahre so schrecklich ihm gegenüber verhalten hatte, wie konnte ich ihm dann jetzt gegenübertreten? Ich stand vor Omjaidens Tür. Nach einem zaghaften Klopfen wurde sie mir von ihm geöffnet. »Nun, hast Du nachgedacht?«, fragte er mich mit einem besorgten Blick während ich den Raum betrat. Ich riß mir die Kette vom Hals und übergab sie dem Tiegel, der noch immer über der Flamme auf dem Tisch stand. Vor meinen Augen verlor der Zweig seine Form und wurde zu einem unförmigen Klumpen. Omjaiden legte seine Hand auf meine Schulter. »Dann bist Du also bereit mir zu folgen. Das ist gut. Geh und pack Deine Sachen, wir treffen uns morgen bei Sonnenaufgang im Hof, die Karawane wartet dann schon auf uns.« Er schob mich langsam zur Tür. »Ich wollte Dir noch erzählen warum ich.....« begann ich den Satz wurde aber von Omjaiden unterbrochen. »Das ist momentan nicht wichtig. Das einzige was zählt ist, daß Du Dich entschlossen hast, mich zu begleiten, über alles andere können wir reden, wenn es an der Zeit dazu ist.« Er schlug mir geradezu die Tür vor der Nase zu. Wer sollte das verstehen. Mir ging soviel durch den Kopf. Was sollte ich meinem Vater morgen sagen. Wie konnte ich mich entschuldigen? Ich wußte es nicht. In meinem Zimmer setzte ich mich an den Tisch und schrieb ihm einen Brief, in dem versuchte ich zu erklären, zu entschuldigen. Ich weiß nicht ob es mir gelang, aber ich hatte keine andere Möglichkeit mich meinem Vater mitzuteilen. Wenn er mir gegenüber gestanden hätte, wäre mir vor Schmach kein Wort über die Lippen gekommen. Danach packte ich meine Sachen. Ich wußte nicht, was auf so einer Reise von Nöten sein könnte. Ich hatte mein Bündel bestimmt schon ein dutzend Mal auf und wieder zugeschnürt, was dazu gegeben oder weggenommen, doch nicht einmal war ich mit dem Ergebnis zufrieden. Wie auch schon am Morgen wußte ich, daß sich Kara mit mir im Zimmer aufhielt. War da doch etwas dran, an dem was Omjaiden zu mir sagte? Ich drehte mich zu ihr um. Kara kam mit einem Bündel Kleidung auf mich zu. »Du weißt wohl nicht was Du für die Reise einpacken sollst?« Ich schaute in ihr altes, faltiges und ach so gütiges Gesicht. Wie oft hatte ich sie angesehen und doch nie richtig wahrgenommen. Jetzt, wo ich mein zu Hause verlassen würde, wurde mir das erst bewußt. Sie hielt mir die Kleidung unter die Nase. »Die Sachen sind Ideal wenn Du, wie ich gehört habe, durch die Wüste willst.« Wie konnte sie jetzt schon davon gehört haben? Auf meine Frage antwortete sie nur: »Ich kriege immer alles schnell mit, was meinen Kleinen betrifft.« Mein Kleiner, damit konnte sie doch wohl nicht mich meinen? Ich war immerhin zwei Köpfe größer als dieses kleine Frauchen. »Ich werde morgen mit der Karawane aufbrechen, um mich mit Omjaiden auf eine lange Reise zu begeben. Und Du hast vollkommen recht, ich weiß wirklich nicht was ich alles einpacken soll.« Kara zeigte ihr zahnloses Lachen. »Woher solltest Du das auch wissen. Du bist doch ohne die alte Kara aufgeschmissen wie ein junges Kätzchen. Hier, diese Kleidung habe ich vom Stallmeister für Dich bekommen. Sie ist genau richtig, um darin die Wüste zu durchqueren.« Die Sachen bestanden aus einem paar weicher Lederstiefel, einem Gewand der Nomaden und der typischen, aus einem großen Tuch bestehenden Kopfbedeckung. Außerdem eine Decke, wohl für die Nacht und ein großer Dolch, den alle Nomaden an ihrem Gürtel trugen. »Mehr wirst Du nicht brauchen, für den Rest wird die Karawane sorgen«. Dies war wohl das letzte Mal, daß ich mich von meinem Kindermädchen einkleiden ließ, aber soweit ich mich erinnern konnte, war es auch das wichtigste Mal gewesen. Bald schon kam die Nacht, doch ich konnte kein Auge zumachen. Ich lag wach auf meinem Bett und ging alle Ereignisse des Tages noch einmal in Gedanken durch. Obwohl es immer später wurde, konnte ich doch keinen Schlaf finden, zuviel hatte sich binnen eines Tages verändert.

Kapitel II – Die Reise

Der Morgen brach an. Die ersten Sonnenstrahlen ließen mich blitzschnell erwachen und Aufregung machte sich sofort in meinem Körper breit. Ich zog mich an und schaute mich noch ein letztes mal in meinem Zimmer um. Heute würde ein neuer Abschnitt meines Lebens beginnen. Also nahm ich Abschied von der Heimat, die mir gestern noch so verhaßt war. Heute mit der Gewißheit des Aufbruchs sah ich alles in einem anderen Licht. Wann würde ich wohl mein Zimmer das nächste Mal wiedersehen? Gekleidet in das Gewand, welches Kara mir gab und mein Bündel auf dem Rücken betrat ich den Hof. Im roten Morgenlicht war dieser Ort bereits von geschäftigem Treiben erfüllt. Die genaue Anzahl der bereits beladenen Kamele blieb mir auf den ersten Blick unbekannt, allerdings schätzte ich ungefähr zwanzig Tiere vor mir zu haben.

Die Reiter verabschiedeten sich mit lauten Stimmen und ausladenden Gesten von ihren Freunden und Angehörigen. Hier und da war auch ein trauriges Gesicht zu sehen, schließlich würde ihre Reise zur nächsten größeren Stadt und wieder zurück mehr als zwei Monate in Anspruch nehmen. Auch sie waren in Gewänder wie das meine gekleidet, allerdings war meines in weiß gehalten, im Gegensatz zu ihren, die alle aus blauem Stoff gefertigt waren. Ihre dunkle Hautfarbe gab Aufschluß darüber, daß es sich bei den Händlern um Angehörige der südlichen Nomadenstämme, den Tureks handelte. Viele Sagen und Geschichten rankten sich um diese Stämme. Die Nomaden waren für ihre Wildheit bekannt. Sie konnten wochenlang in der Wüste überleben und dabei auch noch Entfernungen zurücklegen, die niemand für möglich hielt. Im Kampf, so hieß es, seien sie zäher als das Leder aus dem sie ihre Stiefelsohlen fertigten. Allerdings waren sie zu undiszipliniert, als daß sie für militärische Zwecke eingesetzt werden konnten. Sie kämpften nur für ihre eigenen Ziele. Eine der bekanntesten Geschichten über diese Menschen erzählte, wie die Turek, der gefürchtetste aller Nomadenstämme, eine ganze Sippe eines anderen Stammes auslöschte, weil diese unerlaubt einen ihrer Brunnen benutzte. Dieses Exempel war so wirksam, daß es angeblich bis heute jedem Warnung genug sei, die Gesetzte der Turek in ihrem Gebiet zu beachten. Wie groß die Unterschiede doch sind. Obwohl die Nomaden, wie alle Bewohner dieses Teiles Yaromos, dem Volksstamm der Momsaru angehören sind ihre Sitten und Gebräuche nicht für jeden nachzuvollziehen. Omjaiden stand bei Tarafa und meinem Vater. Er war wie ich ebenfalls in der Wüstentracht gekleidet und sah mich anerkennend an. »Da hat sich ja wirklich jemand Gedanken über die Reise ge macht«, sagte er mit anerkennendem Lächeln. Mit geneigtem Haupt ging ich geradewegs zu meinem Vater. Ohne den Mut aufzubringen ihm ins Gesicht zu sehen, kamen die Worte stockend aus meinem Mund. »Ich weiß nicht wie ich es Dir erklären soll, aber...hier lies es einfach. Vielleicht kannst Du dann...« Die letzten Worte wurden von einem Schluchzen verschluckt. Mein Vater steckte den Brief in sein Hemd und nahm mich in die Arme. »Laß uns reden, wenn Du wieder zurück bist. Ich habe gestern abend noch mit Omjaiden gesprochen. Er konnte mir einiges erklären. Jedenfalls hege ich keinen Groll gegen Dich. Ich wünsche Dir für Deine Reise alles Gute. Möge Bek Dich beschützen. Und denke immer daran, egal wo Du bist und was Du tust, Du bist mein Sohn und ich liebe Dich.« Wir umarmten uns noch ein wenig fester, bevor wir voneinander ließen. Tarafa umarmte mich ebenfalls. »Bis bald, Kleiner. Hier, ich habe noch ein Geschenk für Dich. Vielleicht lernst Du ja, wie man es benutzt.« Er hielt einen Krummsäbel in seinen Händen. Eine einfache und soweit ich es beurteilen konnte, gut gearbeitete Waffe. Dankbar hängte ich mir den Säbel an die Seite. »Ich werde es wohl lernen müssen. Ich danke Dir, Bruder.« Omjaiden ergriff das Wort. »Wir werden zurück kommen, wenn Ahmand zu einem Mann gereift ist. Bis dahin werde ich auf ihn aufpassen. Lebt wohl, Amir. Und auch Du Tarafa, lebe wohl. Wird übrigens Zeit, daß Du Dir eine Frau suchst. Vielleicht hast Du ja schon Kinder, wenn wir wieder zurück sind.« Die Männer bestiegen ihre Kamele. Ich schaute fragend zu Omjaiden. »Wie komme ich auf das Kamel rauf?« Er lachte »Wenn Du gekleidet bist wie ein Beduine, solltest Du Dich auch wie einer verhalten. Bei einem neuen Tier, das sie noch nicht kennen, laufen sie erst nebenher um ihm Respekt zu zollen und das Vertrauen des Tieres zu gewinnen. Bevor Du ans Reiten denkst, solltest Du erst einmal lernen, wie man mit einem Kamel am Zügel läuft.« Mit diesen Worten ging er der Karawane hinterher. Das fing ja toll an.

Unser Weg führte uns nach Nordwesten. Wir würden etwa fünfundzwanzig Tage benötigen die Wüste zu durchqueren. Das Ziel der Karawane war die Stadt Xox. Hier würden die Beduinen ihre Waren gegen andere eintauschen und ihren Rückweg antreten. Aber bis dahin sollte noch etwas Zeit vergehen. Seit drei Tagen waren wir jetzt auf der Reise. Die Sonne brannte unaufhörlich wie das Feuer der Hölle und verwandelte die Wüste geradezu in einen Schmelzofen. Die Luft flimmerte unaufhörlich und der von Aufwinden erfaßte Sand zauberte tausend verschiedene Farben an den Horizont. Die Nächte dagegen waren bitterlich kalt. Omjaiden und ich schliefen gemeinsam in einem kleinen Zelt, dies war der einzige Luxus, den wir uns gegenüber den Beduinen gönnten. Sie schliefen einfach auf dem Boden, ihr Kopftuch benutzten sie als Decke und Sandschutz. Nicht nur, daß sie diesen Bedingungen trotzten, sie schienen auch noch gefallen daran zu haben, durch dieses unwirkliche Land zu reisen. Heute durfte ich zum ersten Mal auf dem Kamel reiten. Ich hatte mir schon unfreiwillig den Respekt der Beduinen verdient. Sie sagten, bei der Achtung, die ich diesem Tier entgegenbrächte, würde es mich bestimmt niemals abwerfen. Tatsächlich verbot mir aber Omjaiden bis zu diesem Tag das Reiten. »Lern erst einmal richtig laufen, bevor Du reitest.« Mit dieser einfachen Begründung ließ er mich durch den Sand stapfen. Ich wußte heute morgen nicht einmal mehr genau, ob ich überhaupt noch Füße hatte. Jedenfalls saß ich jetzt hoch oben auf diesem prächtigen Geschöpf, das mich mit einer nie erhofften Leichtigkeit über den Sand trug. Omjaiden kam an meine Seite geritten. »Ein erhabenes Gefühl, oder?« Lag da etwa Ironie in seiner Stimme. Ganz bestimmt. Ich wollte nicht riskieren, daß er mich wieder absteigen ließ und machte mit. »Du hast vollkommen recht. Wunderschön von diesem Tier getragen zu werden. Ich bin ihm auch richtig dankbar dafür.« »Er ist aber eine sie. Den Unterschied wirst Du auch noch bei Gelegenheit kennenlernen.« Die Tureks in unserer unmittelbaren Umgebung lachten laut über Omjaidens Scherz. Mußte er immer das letzte Wort haben?. Ich mußte mir auf die Zunge beißen, um nicht vor Verzweiflung laut zu stöhnen. Omjaiden und ich kamen uns auf dieser Reise immer näher. Vergessen waren die Zweifel, die unsere Auseinandersetzung in seinem Zimmer in mir hervorgerufen hatten. Wir verbrachten jeden Abend viele Stunden am Feuer miteinander, vertieft in lange Gespräche. Trotz der Strapazen des Tages, war es uns oft nicht möglich den nötigen Schlaf zu finden. Zu groß war die Aufregung, die uns beide erfaßt hielt. Wir sprachen über alles Mögliche, aber die meiste Zeit versuchte Omjaiden meine Neugierde zu stillen. Ich wollte alles über Yaromo erfahren, über die Sehenswürdigkeiten und Städte, die wir besuchen würden und die Menschen, die dort wohnten. Ich ließ mir in allen Einzelheiten die Wälder beschreiben, die wir durchqueren würden und jede Erklärung rief mir sofort weitere Fragen ins Bewußtsein. Alles konnte Omjaiden mir allerdings nicht beantworten. Immer öfter räumte er ein, daß er schon seit mehreren Jahrzehnten meinem Vater diente und viele Informationen auch nur durch die Karawanen bekommen hätte. Als er eines Abends wieder auf eine meiner Fragen seine Unwissenheit mit der langen Zeit in unserem Amirat zu entschuldigen versuchte, konnte ich meine Neugierde nicht länger in Zaum halten. »Warum bist Du damals zu meinem Vater gekommen? Er sagte, Dir wäre eine große Laufbahn als Priester vorausgesagt worden und daß auch er es nie verstanden hätte.« Eben hatte er noch verträumt ins Feuer geblickt, doch jetzt war sein Blick und seine ganze Aufmerksamkeit auf mich gerichtet. Er ließ sich einen Moment Zeit, bevor er meine Frage beantwortete. »Nun, ich mußte damals erkennen, daß nicht alles so kommt wie man es sich wünscht. Normalerweise spreche ich nicht über diese Zeit, aber laß Dir soviel gesagt sein: Manchmal bringen Erfahrungen einen Menschen dazu sein Leben zu überdenken und plötzlich stellt man fest, daß alles wonach man sein Leben ausgerichtet hat, auf einmal keinen Wert mehr besitzt. Das ganze Dasein wird bedeutungslos. Wenn man an so einem Punkt angelangt ist und alles unter den Füßen weg zu brechen scheint, dann muß man einen neuen Weg suchen oder man verliert den Verstand. Ich habe damals einen neuen Weg gefunden und alles hinter mir gelassen, das mich an den alten Weg erinnert hätte. Alles, außer meinem Glauben an Bek.« Omjaiden wendete seinen Blick von mir ab und sah wieder in das Feuer. Die Unterhaltung war anscheinend für ihn beendet. Obwohl ich ihn gerne noch vieles gefragt hätte, akzeptierte ich seinen Wunsch und ging schlafen. Omjaiden folgte mir erst ungefähr eine Stunde später ins Zelt, solange saß er noch alleine am Feuer. Erst Jahre später wurde mir bewußt, was in dieser Nacht in Omjaiden vorging. Er hatte sich aus seiner selbst auferlegten Isolation, seinem Hort der Ruhe und des Vergessens, heraus begeben, weil er in mir etwas sah, das er fördern wollte. Aber dadurch setzte er sich unweigerlich den alten Geistern aus, denen er vor so langer Zeit entkommen wollte.

Kapitel III – Xox

Der Rest der Reise verlief ereignislos. Die Karawane kam gut voran und obwohl Omjaiden und ich weiterhin die langen Stunden mit Gesprächen verkürzten, unterließ ich es tunlichst, mehr über seine Vergangenheit zu erfragen. Dann, am Morgen des dreiundzwanzigsten Tages unserer Reise verließen wir die Wüste Xill und ritten durch das üppigste Grün, daß ich jemals gesehen hatte. Keine Bewässerungsanlagen waren nötig um hier Feld an Feld wachsen zu lassen. Die Rinder auf den Weiden waren fett vom saftigen Gras und überall in den Bäumen zwitscherten Vögel. Ich war von den Eindrücken überwältigt. Bis jetzt hatte ich die Gärten und Felder meiner Heimat für unsagbar grün gehalten, aber dieser Reichtum ließ mich verstummen. Als wir über eine sanft ansteigende Hügelkette kamen, lag Xox im gedämpften Licht des Nachmittages vor uns. Ein Fluß durchschnitt das Tal in dessen Mitte sich die Stadt ausdehnte. Für mich war es der breiteste und schönste Strom, den ich bis dahin gesehen hatte, doch als Omjaiden mein Staunen bemerkte, klärte er mich auf, daß dies nichts weiter als einer der unbedeutenden und »kleinen« Flüsse Yaromos sei und wir auf unserer Reise noch welche sehen würden, die ein zehnfaches breiter wären. Umgeben von einer weißen Stadtmauer mit Türmen, die bis in den Himmel zu reichen schienen, erstreckte sich eine Häuserflut, die mehr Menschen beherbergte, als ich sie wohl an einem Tag hätte zählen können. Eine breite gepflasterte Straße führte parallel zum Fluß in die Stadt. Auf ihr ritten wir mit unserer Karawane auf das Stadttor zu. Es stand offen und reger Verkehr passierte die Stadtwachen, die mit herrlichen Uniformen, in strahlenden Rüstungen das Tor bewachten. Im Vergleich mit der Ausstattung dieser Soldaten erschienen die Wachen unseres Amirats eher schäbig. Sie repräsentierten mit ihrer Erscheinung den wohl grenzenlosen Reichtum dieser Stadt. Wir passierten das Tor, ohne daß jemand Notiz von uns genommen hätte. Vor uns lag ein Irrgarten von Straßen. Wie konnte man sich hier nur zurechtfinden? Ich kam mir immer kleiner und verlorener vor. Ehrfürchtig verfolgte ich das Treiben das sich vor meinen Augen abspielte. Überall waren kleine Läden, vor denen die Händler ihre Waren lautstark anpriesen und überall hörte man die Stimmen, die um Preise feilschten, den Verstand eines Kunden entweder lobten oder ihm denselben absprachen. Schon nach kürzester Zeit hatte ich die Orientierung verloren. Omjaiden lächelte mir beruhigend zu. Er schien genau zu wissen, was gerade in mir vorging.

Wir kamen vor einem großen Gebäude an. Sofort liefen junge Burschen herbei, die in Windeseile die Waren der Karawane abluden und in dem Gebäude verstauten. Der Anführer der Tureks, ein großer narbengesichtiger und immer finster dreinblickender Haudegen kam, als auch wir von unseren Kamelen abgestiegen waren, auf uns zu. Er hatte es während der ganzen Reise nicht für nötig oder uns für würdig gehalten, auch nur ein Wort mit uns zu wechseln. Omjaiden meinte am Beginn unserer Reise, als ich ihn auf das Verhalten dieses Mannes ansprach, daß dies das Privileg des Führers sei und wir es zu akzeptieren hätten. Die Tradition der Turek, so verriet mir Omjaiden weiter, setzt einen Karawanenführer für die Dauer der Reise im Ansehen einem Scheich gleich. Was er sagte ist Gesetz und sein Verhalten zu keiner Zeit zu kritisieren. Nun stand dieser Mann vor uns und neigte seinen Kopf. »Efendis, es war mir ein Vergnügen mit Euch durch die Xill zu reisen. Ihr seid jederzeit in meinem Zelt willkommen.« Er wandte sich mir zu und sah mich mit einem wohlwollenden Lächeln an. »Und Ihr junger Amir, wenn Ihr alle Menschen mit dem gleichen Respekt behandelt, wie Ihr es mit Eurem Kamel getan habt, werdet Ihr einmal viele Freunde besitzen.« Er verneigte sich auf die den Turek eigene Art, die wir mit dem gebotenen Anstand erwiderten und ohne ein weiteres Wort, verschwand er im Haus. Omjaiden sah mich abschätzend an. »Dies war ein großes Lob, ich hoffe, daß Du jetzt nicht übermütig wirst.« Ja, ja. Wir waren gerade durch die Wüste geritten, standen mitten in einer Stadt, deren Ausmaße fern meiner Vorstellungskraft lagen und gerade hatte ich die ersten freundlichen Worte auf dieser Reise gehört da warnte Omjaiden mich davor übermütig zu werden! Er wußte, wie er mich mit nur einem Satz zur Verzweiflung brachte. Tief sog ich Luft in die Lungen, um genügend Atem zu haben, Omjaiden all dies an den Kopf werfen zu können, als ich in seinem Gesicht die Andeutung eines Lächelns sah. Dieses wurde zu einem breiten Grinsen, was wohl mit meinem Gesichtsausdruck zusammenhängen mußte. Ich war wieder einmal auf einen von Omjaidens seltsamen Scherzen hereingefallen. Na prima, Hauptsache er hatte seinen Spaß.

»Es ist an der Zeit, daß wir in den Tempel gehen. Wir sollten Bek für die gelungene Reise danken. Ich war vor vielen Jahren schon einmal in dieser Stadt und ich kann Dir sagen, daß der Bek-Tempel in Xox zu den schönsten in ganz Yaromo gehört. Wir müssen in nördlicher Richtung einmal quer durch die Stadt. Das gibt Dir auch noch mal Zeit, Dir das Leben mit so vielen Menschen genauer anzusehen. Das wird eine Erfahrung mehr sein, die Du machen kannst.« Er schulterte sein Gepäck und eilte die Straße herunter. Schnell raffte ich meine Habseligkeiten zusammen. Ich mußte fast rennen, um ihn zu erreichen. Warum hatte er es so eilig? Wie gern würde ich durch diese Straßen ziehen und alles erforschen, was es wissenswertes zu erfahren gab. Von so einer Stadt hatte ich doch immer geträumt. Abenteuer, fremde Menschen, plötzlich alles zum Greifen nahe und Omjaiden hetzte so! »Omjaiden, wie lange werden wir in Xox bleiben? Können wir ein paar Tage rasten und uns alles in Ruhe ansehen?« »Ich habe schon befürchtet, daß Du so etwas fragen würdest. Ich bin der Meinung, daß wir uns nicht länger als nötig in Xox aufhalten sollten. Eine Woche, nicht länger. Wir werden noch durch viel prächtigere Städte kommen und Du wirst genug Zeit haben Deinen Wissensdurst auf unserer Reise zu stillen. Also warum hier rumtrödeln? Ich will nur einen alten Freund aufsuchen und ein paar Informationen einholen, die für uns wichtig werden könnten. Außerdem muß ich die Ausrüstung für unsere Weiterreise besorgen.« »Aber wohin Omjaiden? Du hast mir immer noch nicht gesagt, wohin wir weiterreisen und was das alles mit meinem sogenannten »Potential« zu tun hat.« »Das stimmt. Also bevor Du mir noch mehr Löcher in den Bauch fragst, unser Ziel sind die Wälder von Xamany. Damit wäre ja alles klar, oder? Auf zum Tempel.«

Während des ganzen Gespräches verlangsamte Omjaiden weder seinen Schritt, noch würdigte er mich eines Blickes. Mir kam es so vor, als ob er mit seinen Gedanken ganz bei sich wäre und bereits den Ablauf der Reise bis ins kleinste Detail geplant hatte. Irgendwie überkam mich plötzlich das Gefühl Omjaiden nur im Weg zu stehen. Als ob es bei dieser Reise nicht um mich und um meine Bestimmung ging, über die ich immer noch nichts erfahren konnte, sondern daß ich allenfalls Omjaiden bei seiner Reise nur begleiten dürfte. Ich fühlte mich hilflos und ihm ausgeliefert. Wie sollte ein Mann aus mir werden wenn ich von ihm nur behandelt wurde wie ein Kind? Warum sagte mir Omjaiden nicht einfach was er wußte? Alles mußte ich mühsam erfragen, dazu war ich auch noch seinen ständigen Scherzen ausgeliefert, denen ich nichts entgegenzusetzten hatte. In mir wuchs die Frustration. Ich mußte irgendetwas unternehmen. So konnte diese Reise keinesfalls weitergehen. Heute abend würde ich ihn zur Rede stellen und er würde mir alles erklären müssen, ob er wollte oder nicht. Das Ziel unserer Reise hatte er ja endlich preisgegeben. Warum sollte es mir also nicht gelingen, auch noch den Rest aus ihm herauszuholen?

Einen kleinen Sieg hatte ich ja errungen. Xamany. Immerhin etwas. Alles was ich von dieser Region wußte war, daß sie im Nordosten lag. Wir mußten also durch Xarvie und Xyrien reisen und würden dann zu den ausgedehnten Wäldern von Xamany kommen. Die Yaromesen verstehen sich zwar als Wüstenvolk, doch zu den vielfältigen Landschaftsformen, die dieses prachtvolle Land zu bieten hat, gehören auch genauso Wälder, Wiesen, Hügel und Berge. Ich wußte nicht genau wie weit der Weg nach Xamany war, aber er würde bestimmt einige Monate in Anspruch nehmen, soviel war mir klar. Ich hetzte hinter Omjaiden her. »Warum fahren wir nicht mit dem Schiff, wenn wir so weit reisen wollen? Das würde doch viel schneller gehen.« Omjaiden drehte seinen Kopf. Wenigstens sah er mich jetzt an. Er verlangsamte sogar seinen Schritt und an seinem Gesichtsausdruck, oh wie gut ich diesen speziellen kannte, sah ich, daß er, der weise Priester, mir, dem kleinen Jungen, mal wieder etwas vor Augen führen wollte.

»Ich will, daß Du Dein Land kennenlernst. Wenn wir das Schiff nehmen würden, würdest Du nur Wasser sehen. Dein Eindruck von Yaromo wäre Sand, Wasser und Wald. Dabei ist Yaromo so reich an Unterschieden. Jede Region, jeder der drei Volksstämme, alles ist so facettenreich. Du solltest dieses herrliche Land in all seiner Größe kennenlernen. Vielleicht wirst Du einmal für Dein Heimatland kämpfen müssen. Vielleicht wirst Du sogar Dein Leben lassen. Du solltest zuvor erfahren, daß es sich auch lohnt, dieses Reich zu beschützen.« Schweigend gingen wir weiter. »Und was erwartet mich in Xamany?« Ein schelmisches Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. »Das wirst Du noch früh genug erfahren, Du neugieriges Wüstenhörnchen.« Seine gute Laune, die er wieder einmal auf meine Kosten erwarb, ging mir langsam auf die Nerven. Omjaiden kannte tatsächlich den direkten Weg zum Tempel. Plötzlich standen wir vor dem gigantischen, weißen Gebäude, das gänzlich aus dem feinsten Marmor zu bestehen schien. Welche Liebe und Nähe zu Bek mußten die Bewohner dieser Stadt empfunden haben, als sie sich entschlossen, dieses gewaltige Bauwerk zu errichten. Die Außenseite des Tempels war, abgesehen von der Kuppel, auf eine brillante Weise schlicht gehalten. Nichts lenkte das Auge von der einfachen Schönheit des Marmors ab. Auch die Architektur war ebenso schlicht wie genial. Auf einem quadratischen Sockel, an dessen Eckpunkten filigrane Türme in die Höhe wuchsen, thronte eine riesige, von den roten Strahlen der untergehenden Sonne in feurigen Glanz getauchte, vergoldete Kuppel. Nie zuvor sahen meine Augen etwas Beeindruckenderes. Den Eingang bildete ein riesiges Portal aus schwarzem, auf Hochglanz polierten Holz, dessen einzige Verzierung aus der eigenen Maserung bestand. Links und rechts des Tores erhoben sich wie monströse Wächter zwei Türme, von denen zu jeder vollen Stunde die Gebete an Bek über die ganze Stadt gerufen wurden. Mit offenem Mund versuchte ich die ganze Schönheit dieses Prachtbaus zu erfassen, aber gleich wohin ich meinen Blick lenkte, ich konnte doch nur immer wieder Bruchstücke wahrnehmen, wodurch mir ein Gesamteindruck zuerst verschlossen blieb. Nachdem ich meine Augen zum wiederholten Male über das Gebäude schweifen ließ, wurde ich auf eine kleine Menschenmenge aufmerksam, die sich vor einer Wand am Eingangsbereich versammelt hatte. Zuerst konnte ich nicht erkennen, aus welchem Grund sich diese Traube gebildet haben könnte, zumal alle Anwesenden nur in Richtung der Tempelwand blickten. Als ich näher herantrat, wurde ich mehrerer Novizen gewahr, die vergebens versuchten eine Schrift abzuwaschen, die in großen, schwarzen Lettern an der Wand geschrieben stand. Da nur die Priester das geschriebene Wort kannten, fragte ich Omjaiden, was diese Zeichen zu bedeuten hätten. Er antwortete mir mit fassungsloser Stimme: »Alucard lebt!«

Mit grimmigem Blick sprach er wie zu sich selbst weiter: »Wer wagt es, auf diese Art und Weise den Tempel zu entweihen? Es muß jemand gewesen sein, der die Schriftzeichen beherrscht, aber das können doch nur die Priester. Kein Priester würde einen Tempel des Bek entweihen. Ebensowenig würde ein Priester jemals die heiligen Schriftzeichen einem Ungläubigen lehren, der zu solch einer Tat fähig wäre. Das ergibt alles keinen Sinn. Laß uns in den Tempel gehen. Vielleicht kann man uns dort Auskunft über diesen Vorfall geben.« Rasch gingen wir durch das Portal. Von der Eingangshalle führte ein kleiner Flur direkt in den großen Gebetsraum, der zur Zeit verlassen war. Der Raum war mit Teppichen ausgelegt und das Tageslicht drang durch riesige Fenster, die unterhalb der Kuppel angebracht waren, sanft in den Raum ein. Vor dem Altar kniete ein Priester, der im Gebet versunken schien. Auch wir knieten nieder und sprachen ein Gebet zu Bek. Als der Priester sich erhob, folgten wir ihm in einen kleinen Nebenraum. Erstaunt über unsere Dreistigkeit blickte er uns an, erkannte dann anscheinend Omjaiden als einen Priester und kam mit freudigem Lächeln und ausgestreckten Armen auf uns zu. »Gepriesen sei Bek. Ihr müßt der angekündigte Priester sein. Es ist mir eine Ehre, den direkten Vertrauten der Hohepriesterin Saris Be Khan begrüßen zu dürfen. Euer Ruf ist Euch schon vorausgeeilt. Entschuldigt bitte, daß Ihr nicht mit den Zeremonien empfangen wurdet, die einem Mann in Eurer Stellung gebühren, aber wir rechneten erst morgen mit Eurem Eintreffen. Aber jetzt seid Ihr ja hier und für Euch wird es bestimmt eine Kleinigkeit sein, diesem dämonischen Treiben hier Einhalt zu gebieten. Und dies ist Euer Novize? Tüchtig, tüchtig. Macht einen sehr wachen Eindruck, aber natürlich, ein Mann in Eurer Position kann sich ja seine Novizen aussuchen. Nicht so wie unsereins. Wir müssen nehmen was kommt. Aber egal, ich zeige Euch jetzt Eure Gemächer. Ah, wie unhöflich von mir. Ich bin so aufgeregt, daß ich die einfachsten Regeln der Gastfreundschaft vergesse. Ich bin Salai, der Oberste dieses Tempels. Wenn Ihr etwas benötigt, laßt es mich nur wissen.«

Er wollte gerade zu einer tiefen Verneigung und den traditionellen Begrüßungsformeln ansetzen, als Omjaiden den Bann, in den uns Salais Wort schwall gezogen hatte, brach. »Nun Salai, äh wie soll ich es Euch sagen, wir sind nicht die, für die Ihr uns haltet. Ich bin zwar Priester, aber auf der Durchreise. Ich wollte nur von Euch wissen, was die Schrift auf der Außenmauer des Tempels zu bedeuten hat. Mein Name ist Omjaiden und dies hier ist Ahmand, mein Schützling.« Die Züge des Priesters verdunkelten sich. Seine Enttäuschung war deutlich in seinem Gesicht abzulesen. »Ihr seid nicht von der Hohepriesterin geschickt worden? Und Ihr wißt nicht, was hier in den letzten Wochen vor sich gegangen ist? Die Macht Beks wird in Frage gestellt und Ihr belästigt mich in dieser schweren Stunde? Aus welchem verschlafenen Winkel der Wüste seid Ihr wohl gekommen, daß Ihr nicht wißt wie Alucards Anhänger die Stadt unsicher machen?« Die letzten Worte schien er regelrecht auszuspucken. Seüber den Frevel, der seinem Tempel angetan wurde, ließen sein Gesicht gefährlich rot werden. Anscheinend sollten wir diejenigen sein, an denen er seine aufgestaute Wut nun auslassen wollte. In dem Moment als er Luft holte um alles herauszulassen, schnellte Omjaidens Finger geradewegs auf das Gesicht des einen Kopf kleineren Priesters zu. Einige Zentimeter vor dessen Nasenspitze blieb der Finger stehen. Der erschrockene Mann wich trotzdem erst mal einen Schritt zurück.. Auch Omjaiden konnte seinen Zorn nicht länger verbergen, der von der Unhöflichkeit Salais entfacht wurde. Wie ein Adler die Maus, genauso fixierte Omjaiden sein vermeintliches Opfer. Auch ich war diesem strengen Blick schon einige Male ausgesetzt und konnte mir lebhaft vorstellen, was sich in Salais Kopf wohl abspielte. »Ihr vergeßt Euch wohl, daß Ihr es wagt mir gegenüber einen solchen Ton anzuschlagen?! Ich habe Euch nur eine einfache Frage gestellt, mehr nicht. Wenn Ihr sie beantworten wollt so tut es, wenn nicht dann laßt es sein, aber bleibt höflich!«

Vor Omjaidens Autorität würde sogar das sturste Kamel zurückweichen, es sei denn es wäre lebensmüde. Ein tiefes Schlucken drang aus Salais Kehle. »Vergebt mir bitte meine Unhöflichkeit, meine Nerven sind in der letzten Zeit auch nicht mehr die besten.« In fast demütigem Ton fuhr der Priester fort: »Natürlich werde ich Euch erzählen was ich weiß, vielleicht versteht Ihr dann meine Aufregung. Also, wo soll ich anfangen? Ach ja, genau... Vor ein paar Monaten gab es eine Expedition. Einige Helden aus allen Erdteilen Erkenfaras machten sich im Auftrag der Hohepriesterin Saris Be Khan auf den Weg nach Xularia, Ihr wißt schon, die versunkene, legendäre Geisterstadt. Karawanen wurden damals überfallen und es wurde vermutet, daß Xularia der Ausgangspunkt dieser Überfälle wäre. Diese »glorreichen Helden« machten sich also auf, diesem Rätsel auf den Grund zu gehen. Aber die Aktion war ein verheerender Fehlschlag. Xularia wurde zwar wieder entdeckt, doch diese Tölpel schafften es tatsächlich durch ihre Unfähigkeit einen uralten, schon vergessenen Dämonen zu befreien, der in Xularia gebannt wurde und schon seit vielen hundert Jahren in diesem Gefängnis festsaß. Ich möchte nicht behaupten, daß dies mit Absicht geschah, obwohl ich mir da mittlerweile nicht mehr so sicher bin, aber ich behaupte, daß es besser gewesen wäre wenn diese Expedition von den Mudschahed durchgeführt worden wäre. Wozu werden diese Kämpfer denn sonst ausgebildet? Aber die Hohepriesterin, Bek gebe ihr Weisheit, war im Glauben, daß diese Abenteurer bessere Arbeit leisten würden. Nun, dieser Dämon, der also befreit wurde heißt Alucard Satanherz und er drohte bereits damit, daß er sich ganz Erkenfara zum Untertan machen wolle. Versteht Ihr!? Die ganze bekannte Welt. Seine in den alten Chroniken beschriebenen Fähigkeiten lassen vermuten, daß er sogar dazu die Möglichkeit habe. Wie es heißt, gebietet er über mächtige Wesen und seine Zauberkräfte sollen unglaublich sein. Wenn es das personifizierte Böse auf Erkenfara gibt, so ist es wohl dieser Dämon. Die Gelehrten wissen so gut wie nichts von ihm. Niemand weiß wie er gebannt werden kann und es gibt so gut wie keine Aufzeichnungen aus der Epoche, in der es schon einmal gelang. Die einzigen Schriften, in denen sein Name auftaucht, künden nur von seinen üblen Taten und warnen vor seiner Macht. Wie es scheint, breitet sich sein Einfluß, den er auf die Menschen ausübt, rasend schnell aus. Sein erstes Ziel scheint wohl Yaromo zu sein. Die Schrift auf der Wand ist ein Indiz dafür, daß sein Einfluß auch in Xox wächst. Anscheinend haben sich sogar schon Priester oder Novizen des Bek ihm verschrieben. Wer sonst hätte auf die Wand schreiben können? Ein klares Signal für die Bevölkerung und die Priesterschaft. Ich habe schon vor Wochen, als die ßberfälle in der Stadt zunahmen und die ersten Anzeichen von Dämonenverehrung bemerkt wurden, einen Brief an Saris Be Khan geschickt. Sie sicherte mir zu, einen ihrer besten Priester zu schicken, der diese Vorfälle untersuchen soll. Sein Name ist Yetmer Ibn Tasd. Er ist, so heißt es, ihre recht Hand und verfügt über immense Macht innerhalb der Priesterschaft. Allerdings scheint ihm viel daran zu liegen, im Hintergrund zu bleiben. Wenn ich ehrlich bin, hörte ich im Zusammenhang der Dämonenbekämpfung zum ersten Mal von ihm.«

Ich spürte, wie Omjaiden sich versteifte, als Salai den Namen aussprach. Meinem fragenden Blick wich er aus und wandte sich an den Priester. »Ich denke, wir haben genug gehört und auch Eure Zeit mehr als genug in Anspruch genommen. Ich danke Euch für Eure offenen Worte und hoffe, daß Ihr dieser Sache schnell auf den Grund geht. Bek erleuchte Euer Haupt. Auf Wiedersehen.« Ohne die formelle Antwort Salais abzuwarten, packte Omjaiden mich am Arm und zog mich regelrecht aus dem Tempel. Er konnte nun seine Aufregung kaum noch verbergen. Er sprach einen zufällig vorbeikommenden kleinen Jungen an. »He Kleiner, gibt es noch den Glutkessel dort vorne?« Als der Junge die Frage bejahte, warf Omjaiden ihm ein Kupferstück zu, das der Junge freudig auffing. »In der zweiten Seitenstraße gibt es eine Herberge, sie heißt »Zum Glutkessel«. Warte dort auf mich, ich muß wie gesagt einen Freund aufsuchen. Hier hast Du ein paar Münzen, miete ein Zimmer, ich bin in ein paar Stunden wieder zurück.« Bevor ich auch nur Luft holen konnte, um ihm endlich die Fragen zu stellen, die meinen Kopf fast zum Platzen brachten, eilte er auch schon davon. Die Sonne stand schon tief über den Bergen, als ich mich auf den Weg zur Herberge machte. In der angegebenen Seitenstraße fand ich auch besagtes Haus.

Als ich eintrat stellte ich fest, daß es die Versprechungen hielt, die der äußere Anschein machte. Der Schankraum war tadellos sauber. An den Wänden hingen wertvolle Teppiche und einige Gäste hatten sich bereits auf äußerst bequem erscheinenden Sitzkissen um die bereitstehenden Wasserpfeifen gruppiert. Ein Junge kam mit einer Schüssel voll Wasser und einem extrem weißen Leinentuch auf mich zu. »Eine Erfrischung, junger Herr?« Erst jetzt wurde mir bewußt, welchen Anblick ich meinem Gegenüber bieten mußte. Der Staub der langen Reise hing in meinem eher schäbig wirkenden Gewand. Ich mußte aussehen wie der erbärmlichste Kameltreiber. Aber es schien niemand Notiz davon zu nehmen. Im Gegenteil, ich wurde in aller Höflichkeit empfangen. Auch der Wirt begrüßte mich überaus freundlich. »Ihr scheint eine lange Reise hinter Euch zu haben. Ich hoffe, meine Zimmer genügen Eurem Anspruch. Ihr wollt doch ein Zimmer?« Als ich Ihm meine Münzen zeigte strahlten seine Augen heller als seine makellosen Zähne. »Ein Zimmer für mich und meinen Begleiter, er wird später eintreffen. Außerdem würde ich gerne einen Tee trinken und etwas essen und baden. Ja, zuerst baden.« »Wie Ihr wünscht, junger Herr.« Ich wurde auf mein Zimmer in das Obergeschoß geleitet und fand mich schon nach kurzer Zeit in einem Holzzuber mit fast kochendheißem Wasser wieder. Ich fühlte wie sich meine Muskeln entspannten. Erst jetzt bemerkte ich, wie sehr mein Körper unter den Strapazen der Reise zu leiden hatte und am liebsten wäre ich nie mehr aus der Wanne gestiegen. Irgendwann forderte allerdings mein Magen seinen Tribut. Ich schlüpfte in einen frischen, extra für mich bereitgelegten Kaftan, den ich solange tragen durfte, bis meine Kleider gewaschen und getrocknet sein würden. Als neuer Mensch betrat ich den Schankraum. »Ah, junger Herr, da seid Ihr ja. Bitte setzt Euch an diesen Tisch. Ich werde Euch sofort Tee und Essen bringen, genießt solange diesen herrlichen Tabak. Er stammt von den Schiffen der Gilde. Keine Ahnung, woher sie einen solchen Tabak haben, aber ehrlich, es interessiert mich nicht solange ich ihn kaufen kann.« Mit einem verschmitzten Grinsen überließ er mich meinem Kissen. Während ich ein paar tiefe Züge nahm, der Tabak hatte es wirklich in sich, besah ich mir die anderen Gäste. Soweit ich es erkennen konnte waren es zum Großteil wohlhabende Händler, die mit lauten und herzlichen Stimmen über Preise und Marktentwicklung diskutierten. Ich verstand nicht die Hälfte von dem was gesprochen wurde, doch plötzlich wurde ich hellhörig.

»Dieser Alucard scheint ja richtig Panik unter den Menschen zu verbreiten. Vielleicht wirkt sich das belebend auf unser Geschäft aus. Ich denke an Hamsterkäufe oder Reittiere, damit man die Stadt verlassen kann. Ich werde jedenfalls meine Geschäfte auf diesen Bereich ausweiten. Mal ehrlich, mit Exportgütern ist gerade kein Blumentopf zu gewinnen.« Diese Meinung wurde von den Anwesenden einstimmig bejaht. Ich war einfach zu neugierig, als daß ich hätte still sein könen. Also ging ich zu dieser Gruppe, die ein paar Meter neben mir in einer Ecke des Raumes um eine Wasserpfeife saß. »Entschuldigt meine Herren, daß ich mich ungebeten in Euer Gespräch einmische. Mein Name ist Ahmand Al Sulayman und ich bin heute in dieser Stadt angekommen. Dort wo ich herkomme, einem kleinen Amirat mitten in der Xill, verbreiten sich Nachrichten nicht so schnell wie in anderen Orten. Ich hörte heute zum ersten Mal von Alucard Satanherz und zum zweiten Mal aus Eurem Munde. Nun, ich bin sehr neugierig und es würde mich freuen, wenn Ihr mir etwas über diesen Dämonen erzählen könntet.« Die Händler schauten sich gegenseitig fragend an. »Bek wache über Euer Haupt, Ahmand. In dieser Welt muß man neugierig sein und die richtigen Fragen stellen, sonst bringt man es nie zu etwas. Mein Name ist Mustafa ben Klamar und ich will Euch gerne erzählen was ich weiß, aber ich weiß auch nicht mehr zu erzählen als allgemein bekannt sein dürfte. Wie Ihr schon sagtet ist Alucard ein Dämon. Er wurde von irgendwelchen Tunichtguten aus dem Ausland erweckt und jetzt treibt er sein Unwesen in Yaromo. Anscheinend sammelt er in allen Städten Anhänger um sich. Wie das geschieht ist nicht bekannt, weil sich niemand öffentlich zu diesem Kult bekennt. Aber man munkelt, daß die Anzahl seiner Gefolgsleute immer mehr wächst und sogar abtrünnige Priester schon zu seinen Anhängern zählen. Jedenfalls gibt es im ganzen Land Übergriffe, die mit diesem Kult in Verbindung gebracht werden. Niemand weiß etwas genaues und die es wissen könnten schweigen. Wenn die Priesterschaft nicht bald reagiert sehe ich schwarz für die Zukunft unseres Landes. Bleibt nur noch, ein paar gute Geschäfte zu machen und dann schnell das Land zu verlassen, bevor es ungemütlich wird.« Die typische Einstellung eines Händlers. Profit machen und dann verschwinden. Diese Ansicht paßte mir zwar nicht, aber wir plauderten noch eine Weile und so konnte ich noch ein wenig über die Situation in anderen Städten erfahren und von den Bemühungen von seiten der Priester, diesem Treiben Einhalt zu gebieten. Es wurde immer dunkler, im Schankraum wurden bereits Lampen und Kerzen entzündet. Von Omjaiden fehlte nach wie vor jede Spur und ich wurde immer ungeduldiger, was auch meinem Gesprächspartner auffiel.

»Wartet Ihr auf Eure Liebste, junger Ahmand? Oder ist Euch unsere Gesellschaft zu langweilig?« Letzteres sprach er mit einem Augenzwinkern, so daß ich nicht verlegen werden mußte. »Nein, nichts von dem. Ich reise in Begleitung eines Priesters und erwarte seit geraumer Zeit seine Ankunft. Langsam mache ich mir Sorgen, er ist schon etwas älter und zuweilen wunderlich. Hoffentlich ist ihm nichts zugestoßen.« »Was soll einem Priester schon geschehen, noch sind die Dämonenanhänger nicht dreist genug, einen Priester anzugreifen. Macht Euch keine Geda

Wie mir empfohlen, gönnte ich mir noch einige Züge, allerdings wurde die Sorge um Omjaiden immer größer. »Meine Herren, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. Möge Bek Eure Wege und Geschäfte segnen. Ich werde an der Straße auf meine Begleitung warten, das wird meine Nerven beruhigen.« Auch mir wurde noch ein schöner Abend gewünscht. Ich verließ die Herberge, um mich auf der Straße umzusehen. Kaum ein Mensch war noch auf den Straßen unterwegs. Hier und da brannte ein Licht hinter einem Fenster und ich machte mich auf den Weg zum Tempel. Vielleicht war Omjaiden noch einmal beten gegangen. Ich fand den Tempel unverschlossen vor. Also ging ich geradewegs in den Gebetsraum, um nach Omjaiden zu suchen. Der Raum war leer, nur ein paar Kerzen erhellten ihn mit ihrem warmen Licht. Bizarre Schatten wanderten an den Wänden entlang. Keine Menschenseele weit und breit. Ich ließ mich auf einem Kissen nieder, um mir in Ruhe zu überlegen, wie ich jetzt weiter verfahren sollte. Zurück zur Herberge, oder auf gut Glück weitersuchen? Gerade hatte ich mich entschieden wieder zum »Glutkessel« zu gehen, als ich Salaisæ Stimme hörte.

»Wir haben Euch erst morgen erwartet. Euer Ruf eilte Euch bereits voraus...« Diese Ansprache kannte ich doch. Anscheinend war der berüchtigte Yetmer Ibn Tasd schon angekommen. Was mußte das für ein Mann sein, daß er bei Omjaiden eine so heftige Reaktion auslösen konnte? Da die Stimmen lauter wurden, entschloß ich mich, es mir im Schatten des Raumes bequem zu machen und das Gespräch weiter zu belauschen. Vielleicht konnte ich auch einen Blick auf Yetmer werfen. Und tatsächlich, Salai war gerade an der Stelle angekommen, in der er seinen Unmut über die Auswahl an Novizen zum Ausdruck brachte, anscheinend hatte er die Rede wirklich auswendig gelernt, als die Männer den Raum betraten. Yetmers Anblick enttäuschte mich. Ein kleiner, glatzköpfiger Mann mit einem beträchtlichen Bauchumfang. Gekleidet war er zwar wie ein Schah, aber wie konnte ein Mann mit dem Erscheinungsbild einer Wassermelone zu so viel Macht kommen? Seine Stimme stand allerdings im krassen Gegensatz zu seinem Äußeren. Mit ruhigem und befehlsgewohntem Ton machte er Salai in wenigen Sätzen klar, daß es keinen Sinn hätte zu versuchen ihm zu schmeicheln, daß er, Salai, sich lieber um das Gepäck kümmernsolle und daß seine Anwesenheit nicht mehr erwünscht sei, da Yetmer jetzt zu Bek beten wolle und zwar alleine. Salai war die Enttäuschung darüber anzusehen, daß er nicht den gewünschten Eindruck bei Yetmer hinterlassen konnte. Mit tiefen Verbeugungen verließ er den Raum. Tja, ich saß sozusagen in der Falle. Es würde bestimmt keinen guten Eindruck machen, wenn ich jetzt aus dem Schatten treten würde, um den Raum zu verlassen. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als abzuwarten. Wie lange wohl ein so hochgestellter Priester im Gebet zu Bek sprechen würde? Ich machte es mir so bequem, wie es die Situation zuließ. Plötzlich spürte ich, wie etwas in der Luft vibrierte, eine kaum wahrnehmbare Präsenz, aber eindeutig vorhanden. Ein Mann in einem schwarzen Umhang betrat den Gebetsraum und ließ sich neben Yetmer nieder. Eine Gänsehaut ließ mich erschauern. Irgend etwas Unheimliches passierte hier, nur konnte ich nicht erfassen, was es war. Mit einer seltsam krächzenden Stimme sprach der Neuankömmling zu dem im Gebet versunkenen Priester: »Ihr seid früher als erwartet. Fast hätten wir uns verpaßt.« Ohne den Kopf zu bewegen erwiderte der Priester mit seiner klaren, kraftvollen Stimme. »Ich habe mich beeilt. Ich will doch sehen wie sich alles entwickelt. Außerdem seid Ihr ja wohl fähig mich überall aufzuspüren. Warum sollte ich mir also Sorgen machen?« Beide saßen einen Moment lang schweigend nebeneinander, bis Yetmer wieder das Wort ergriff. »Allerdings gibt es etwas, das mir wirklich Sorgen macht. Der geschwätzige, kleine Priester dieses Tempels behauptete, daß Omjaiden heute hier gewesen sei. Er hatte Fragen gestellt, ganz so als hätte er noch nie zuvor von Alucard gehört. Könnt Ihr Euch das vorstellen? Ihr wißt, was Omjaiden und mich verbindet. Jahre lang lebte er im Exil und gerade jetzt wo sich die Situation zuspitzt taucht er hier auf. Ein etwas seltsamer Zufall, oder?« Ein unnatürliches Grollen entfuhr dem nach wie vor im Umhang eingehüllten Gegenüber. »Vergeßt Omjaiden. Euer Auftrag ist viel zu wichtig, als daß Ihr das Ziel wegen einer so alten Geschichte aus den Augen verliert. Wir haben zu viel erreicht, um jetzt irgendeine Verzögerung zu provozieren. Was ist Omjaiden schon? Ein alter, ergrauter Mudschahed-Priester, der nach Jahrzehnten die Wüste satt hat. Es würde mich sehr wundern, wenn er sich Euch ein weiteres Mal entgegenstellen würde.«

Meine Anspannung stieg ins unerträgliche. Ich wagte kaum noch zu atmen und dieses Gefühl, das ich mir nicht erklären konnte und mir einen Schauer nach dem anderen über den Körper jagte, ließ mich einfach nicht los. Was ging hier vor? Omjaiden - ein Mudschahed-Priester? Hatte nicht auch schon Salai diese Bezeichnung benutzt? Und was hatte Omjaiden denn nun mit Yetmer zu tun, der über Omjaidens Anwesenheit genauso »entzückt« zu sein schien wie umgekehrt? Der Priester erhob sich. »Ich werde hier erst einmal das Nötige in die Wege leiten und dann sehen wir ja, wie sich alles entwickelt. Allerdings erwarte ich von Euch, daß Ihr Omjaiden im Auge behaltet. Zumindest für so lange, wie er in der Stadt ist. Ich will keine bösen Überraschungen erleben.«

Ein weiteres bejahendes Grollen ertönte unter der Kapuze. Mein Blick folgte Yetmer. Die Art wie er sich bewegte war schon fast lustig. Wenn man nur seine Stimme hörte, konnte man kaum glauben, daß sie zu einem Mann gehörte, der wie eine Ente watschelte, immer bemüht, seine Leibesfülle im Gleichgewicht zu halten. Er verließ den Saal durch den Nebenraum, in dem wir mit Salai zusammengetroffen waren. Es schauderte mich schon wieder. Mein Blick wanderte instinktiv zu dem Platz der Unterhaltung zurück. Allerdings war niemand mehr zu sehen. Wo war der Kapuzenträger hin? Ich hatte kein Geräusch gehört. Er mußte sich sehr schnell und sehr leise bewegt haben. Auch meine Gänsehaut ließ nach, was wahrscheinlich daran lag, daß ich endlich alleine war und unbemerkt aus dem Tempel verschwinden konnte. Omjaiden würde jetzt wohl derjenige sein, der auf mich wartete. Ich hatte ihm einiges zu erzählen und noch mehr zu fragen.

Als ich aus dem Tempel auf die Straße trat, fing ich sofort an zu rennen. Völlig außer Atem betrat ich den »Glutkessel« wo, wie erwartet, ein hektisch gestikulierender Omjaiden auf mich wartete. Seine Vorwürfe, die in rasender Geschwindigkeit auf mich niederprasselten, gaben mir wenigstens einen Moment, in dem ich durchatmen konnte. Ich hörte sowieso nicht hin. Auch Omjaiden schien diese Tatsache nach ein paar Momenten zu bemerken. Jedenfalls endete seine Tirade mit den Worten: »...und was hast Du dazu zu sagen?« Jetzt war ich dran. Allerdings waren wir zum Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit geworden. »Laß uns in Ruhe auf dem Zimmer reden. Ich habe wichtige Neuigkeiten.«

Omjaiden war einverstanden, denn er folgte mir ohne ein weiteres Wort zu verlieren. Nachdem ich die Tür geschlossen hatte, schaute er mich mit traurigen Augen an. »Ich hatte Dir gesagt, daß Du hier warten solltest. Ist das zuviel verlangt?« Während er sich auf einem Stuhl und ich mich auf dem Bett niederließ, erzählte ich ihm, was mir widerfahren war. Daß ich auf ihn gewartet hatte, mich aber dann die Sorge um sein Wohl vor die Tür trieb. Auch das belauschte Gespräch zwischen Yetmer und dem Fremden beschrieb ich ihm so gut es ging. Allerdings ließ ich die Gänsehaut und die Angst, die ich hatte aus. Schließlich war ich dabei ein Mann zu werden und solche Gefühle hatten dabei keine Rolle zu spielen. Geduldig hörte sich Omjaiden meine Geschichte bis zum Ende an und schwieg auch noch, als ich schon geendet hatte. Ich konnte regelrecht sehen wie es in ihm arbeitete. Mit einem Ruck erhob er sich und suchte unsere Sachen zusammen. »Wir müssen sofort aufbrechen. Ich möchte so schnell wie es geht von Yetmer weit entfernt sein.« Die Vorstellung diese Nacht nicht in diesem weichen Bett sondern auf der Straße zu verbringen war unerträglich. »Was ist los mit Dir? Glaubst Du nicht auch, daß es langsam an der Zeit wäre, mir ein paar Sachen zu erklären? Ich renne die ganze Zeit hinter Dir her und Du versuchst nicht einmal meine Fragen zu beantworten. Ich gehe keinen Meter weit bis ich endlich weiß, was hier vor sich geht. Omjaiden, ich will endlich Antworten.« Die letzten Worte schrie ich fast heraus. Scheinbar unbeeindruckt packte Omjaiden weiter. »Gut, ich werde Dir erzählen was Du wissen willst. Aber erst müssen wir hier weg, raus aus dieser Stadt. Ich frage mich, ob Du es nicht verstehen willst oder einfach nur nicht kannst. Aber wir befinden uns wahrscheinlich in größter Gefahr. Hier sind Mächte am Werk, vor denen nicht einmal ich Dich schützen kann. Wie ich Dir ja sagte, war ich bei einem Freund. Er hatte ein paar Sachen von mir verwahrt, die noch aus der Zeit stammen, bevor ich mich bei Deinem Vater niedergelassen habe. Ich wollte die Sachen nicht behalten, aber auch nicht wegwerfen.«

Erst jetzt fiel mir auf, daß Omjaiden einen großen Anhänger um seinen Hals trug und seine Unterarme mit seltsamen Armreifen geschmückt waren. Sie machten einen sehr massiven Eindruck, zu wuchtig für Schmuck, aber als Schutz wirkten sie zu schwach. Allerdings wurde auch ein Teil von den Ärmeln verdeckt. Seltsam war auch, daß das Scharnier an der Unterseite des Arms extrem dick war. Er würde schon wissen wofür es gut war. Omjaiden fuhr fort: »Mein Freund hat mir auch sehr detailliert geschildert, was in den letzten Wochen passierte. Reisende wurden überfallen, alles was von ihnen gefunden wurde, waren ihre zerstückelten Leichen. Niemand konnte bis jetzt überführt werden. Und dann taucht auch noch mein »alter Freund« Yetmer hier auf. Als ob diese Dämonenanhänger nicht schon genug wären. Glaub mir, wenn es nach mir ginge, würden wir erst einmal eine Weile rasten. Ich bin auch nicht mehr der Jüngste, aber nach alledem sollten wir so schnell es geht von hier verschwinden. Hast Du alles? Hier Dein Säbel, vergiß ihn nicht, vielleicht wirst Du ihn früher brauchen, als Dir lieb ist.« Zum Glück waren meine Kleider schon gewaschen und trocken. Nur mit einem Kaftan bekleidet konnte es nachts schnell sehr kalt werden. »Nachdem ich bei meinem Freund war, habe ich zwei Pferde gekauft, sie stehen unten im Stall. Wir werden also heute Nacht schon ein gutes Stück voran kommen. Proviant und die restliche Ausrüstung können wir uns auch unterwegs besorgen. Laß uns erst einmal aufbrechen und dann werde ich Dir alles erklären.«

Kapitel IV – Flucht nach vorn (Teil I)

Das eilig zusammengesuchte Gepäck geschultert, betraten wir den Stall, nachdem wir unsere Unkosten beim Wirt beglichen hatten. Die Pferde, von denen Omjaiden gesprochen hatte, standen zusammen in einer Box. Sie wirkten gegenüber den Pferden, die wir in der Wüste züchteten etwas grobschlächtig, machten dafür aber einen wesentlich sanfteren Eindruck. Die dazugehörigen Sättel lagen im Gang. Wir machten uns sofort an die Arbeit und eine kurze Zeit später saßen wir auf. Wie ich vermutet hatte waren die beiden Stuten zahm wie Lämmer. Omjaiden ritt einen Schimmel, wohingegen ich mich für den Braunen entschied. Dieses Tier machte auf mich einen wacheren Eindruck. Gemächlich, ohne Aufsehen zu erregen, ritten wir auf der Straße Richtung Osttor. Omjaiden sprach mit leiser Stimme: »Du wolltest noch ein paar Dinge erfahren. Jetzt da wir unterwegs sind, kann ich Dir ja erzählen was Du wissen willst.« Ich lenkte meine Stute näher an den Schimmel heran, damit ich nicht so laut sprechen mußte. »Also, was verbindet Dich mit diesem Yetmer, warum hast Du diese Angst vor ihm? Was hast Du mit mir vor? Ach ja, was sind Mudschahed-Priester, Du sollst doch einer sein? Ich glaube das sind die wichtigsten Fragen. Wenn mir noch etwas einfällt, werde ich es sagen.«

Omjaiden holte tief Luft. »Das ist eine ganze Menge, die Du da wissen willst. Kann einen Moment dauern, Dir alles zu erklären. Eigentlich wollte ich Dir Deine Fragen Stück für Stück beantworten, aber so wie die Umstände jetzt aussehen, hast Du ein Recht darauf alles gleich zu erfahren. Ich bin ein Mudschahed-Priester. Das bedeutet, daß ich einem geheimen Orden innerhalb der Glaubensgemeinschaft des Bek angehöre. Kaum jemand weiß, daß die Mudschahed existieren. Nur die Priester und einige Vertraute, die eng mit den Mudschahed zusammenarbeiten. Und selbst die »normalen« Priester, wie z.B. unser Freund Salai wissen nur, daß es uns gibt, aber nicht wo sich unser Kloster befindet, oder wer zu uns gehört. Bestimmt willst Du auch wissen, was das Ziel unseres Ordens ist. Mudschahed bedeutet in der alten Sprache der Yavesi ungefähr soviel wie »Glaubenskrieger«. Es gibt den Orden schon so lange, wie es den Glauben an Bek, bzw. Priester gibt. Am Anfang war es die Aufgabe der Mudschahed die Tempel vor Ungläubigen zu bewachen. Du weißt ja wie Yaromo entstand. Die Volksstämme der Yavesi, der Rotaner und der Momsaru vereinigten sich an der großen Oase, um diese prächtige Nation zu gründen. Von da an setzte sich der Glaube an Bek im ganzen Land durch. Bald gab es in Yaromo keine Ungläubigen mehr, vor denen die Tempel geschützt werden mußten. Sogar die sturen Turek hatten erkannt, wie mächtig Bek ist und daß er der einzige und wahre Gott ist. Allerdings ist nicht immer alles so, wie es den Anschein hat. Wo Licht ist, existiert auch zwangsläufig Schatten. Es kann das eine nicht ohne das andere geben. Deshalb muß man den Schatten bekämpfen, wo immer er auftaucht, damit nicht die Finsternis das Licht verschlingt. Dies wurde zur Aufgabe der Mudschahed. Diese Männer werden speziell für den Kampf gegen das Böse ausgebildet. Damit meine ich nicht das weltliche Böse, wie z.B. Nationen die unser schönes Yaromo mit Krieg überziehen, sondern das tatsächliche Böse, den Schatten, die Geschöpfe der Finsternis. Sie lauern in Höhlen oder alten Ruinen, sie werden von verblendeten Narren aus anderen Ebenen gerufen. Sie bekommen ihre Macht von Teufelsanbetern, welche die wahre Größe Beks nicht erfassen, oder ihren eigenen Vorteil in solch unheiligen Allianzen suchen. Wann immer Indizien für solche Machenschaften auftauchen, werden die Mudschahed geschickt, um dem Treiben ein Ende zu bereiten. Dieser Alucard Satanherz ist beileibe nicht der erste Dämon, der auf Erkenfara sein Unwesen treibt. Aber ich muß zugeben, daß seine Macht ein Niveau erreicht hat, bei dessen Ausmaß es mir kalt den Rücken herunter läuft. Nie zuvor habe ich gehört, daß ein dunkles Geschöpf in solch riesigem Umfang Anhängerschaft gewinnt. Aus diesem Grund meinte Salai, daß es besser gewesen wäre, wenn die Hohepriesterin die Mudschahed nach Xularia geschickt hätte. Vielleicht würde Alucard dann noch in seinem Gefängnis sitzen. Allerdings hatte damals seine Macht schon zugenommen. Die Überfälle auf die Karawanen deuten darauf hin, daß er wohl schon zu dieser Zeit Gefolgsleute gefunden hatte. Es ist wirklich erstaunlich, über welche Macht er zu verfügen scheint. Ebenso erstaunlich ist es für mich, daß sich die Mudschahed noch nicht dieses Problems angenommen haben.«

Omjaiden griff zu seinem Wasserschlauch. Das Thema schien ihn durstig zu machen. Wir ritten immer noch gemächlich nebeneinander her. Die Stadt schien kein Ende zu nehmen, es würde wohl noch eine Weile dauern, bis wir das Stadttor passieren würden. Mir kam diese Pause gerade recht, so konnte ich ihm noch ein paar Zwischenfragen stellen. »Also, die Mudschahed sind ein geheimer Orden, die sich dem Kampf gegen Dämonen, Geister und Teufelsanbeter verschrieben haben. Aber wie wird man ein Mudschahed, wie kann man gegen ein unwirkliches Wesen bestehen? Wieviele gibt es davon, sind alles nur Priester? Und wo ist.....«  »Genug, genug!« Omjaiden hatte seinen Schlauch wieder verschlossen. »Ich werde ja alle Deine Fragen beantworten, aber eins nach dem anderen. Jeder kann ein Mudschahed werden, nicht nur Priester. Es gibt auch einfache Kämpfer, die keine Ahnung haben von der Macht der Zaubersprüche, über die nur die Priester verfügen. Aber auch diese Kämpfer werden nach ihren Fähigkeiten ausgesucht und speziell für diese Aufgabe geschult. Sie beschützen die Priester auf ihren Missionen. So eine Art Leibgarde. Ich habe Dir gesagt, daß Du so etwas wie einen siebten Sinn hast, eine Fähigkeit die nicht jeder hat. Wenn ich Dir jetzt sage, daß das Kloster des Ordens in Xamany liegt, klingelt dann etwas bei Dir?« Das war es also. Omjaiden wollte mich zu einem dieser Mudschahed ausbilden lassen. Das war doch der blanke Wahnsinn! Eben noch lebte ich beschützt und behütet in einer kleinen Oase der Ruhe und Friedfertigkeit und nun dies. Natürlich war ich froh, mit Omjaiden durch Yaromo ziehen zu dürfen, aber wenn ich vorher gewußt hätte was vor mir liegen sollte, wäre ich nicht einen Schritt vor die Tür gegangen. Gegen Dämonen kämpfen, bei Bek, wie kam Omjaiden nur auf die Idee, daß dies meine Bestimmung sein sollte? Plötzlich wußte ich nicht mehr, was mich an meinem vorherigen Leben so gestört haben konnte. Ich hätte mir einfach eine schöne und reiche Frau gesucht und ein sorgenfreies Leben geführt. Ohne Dämonen, seltsame Priester und irgendwelche geheimen Orden. Mudschahed, es schüttelte mich am ganzen Körper. »Wie ich merke, bist Du sprachlos. Ich dachte mir, daß ich Dich überraschen würde. Deinem Vater und mir war sofort klar, daß Dich eine solche Aufgabe reizen würde. Diese Reise ist eine Art Prüfung. Ich wollte eigentlich erst sehen, wie Du auf Strapazen reagierst, bevor ich Dir vorschlagen wollte, von mir in den Orden eingeführt zu werden. Nur wer von einem Mudschahed vorgeschlagen wird, kann dort seine Ausbildung beginnen. Der Leumund ist während der ganzen Zeit für den Anwärter verantwortlich, bis dieser zum vollwertigen Mitglied erhoben wird. Dies dauert bei den Mudschahed-Kämpfern durchschnittlich etwa fünf Jahre, je nachdem wieviel Vorkenntnisse, z.B. im Umgang mit Waffen vorhanden sind. Die Priester studieren natürlich länger. Sie müssen das ganze Wissen haben, sie sind das Gehirn; die Kämpfer sind die Faust. Obwohl auch wir Priester in Handhabung der Waffen geschult werden. Meine Ausbildung und ich war einer der Schnellsten, nahm zehn Jahre in Anspruch. Mein Junge, ich halte große Stücke auf Dich, sonst hätte ich Deinem Vater nie vorgeschlagen, Dich nach Xamany zu bringen. Ich bin der Überzeugung, daß Du einer der Besten werden kannst. Wie Du Dich an der Waffe entwickelst werden wir noch sehen und Deine Begabung muß auch erst noch geschult werden, aber Du hast Herz, Du bist klug, neugierig und fest im Glauben an Bek. Ich weiß, daß Du diese Aufgabe bewältigen kannst!«

Der Alte hatte es tatsächlich wieder geschafft mich in meinen Grundfesten zu erschüttern. »Wenn Du Dich nur hören könntest. Das ist doch absurd. Ja, ich will in die Welt hinaus, ich will auch Abenteuer erleben, aber was Du mit mir vor hast, ist einfach eine Nummer zu groß für mich. Ich kann doch nicht gegen Dämonen kämpfen. Das ist doch verrückt, ich meine..., also weißt Du..., ehrlich gesagt habe ich Angst. Wenn Du nur wüßtest was ich im Tempel durchgemacht habe, als ich Yetmer belauscht habe, mich hat es vor Angst nur so geschüttelt, eine Gänsehaut nach der anderen; ich hatte die Hosen total voll und jetzt sagst Du, daß ich auf Kommando in irgendwelche Höhlen kriechen soll, um gegen Wesen zu kämpfen, die es eigentlich nicht geben sollte? Was Du da von mir erwartest ist Wahnsinn.« Wir kamen am Tor an. Da ich nicht wollte, daß die Wachen unser Gespräch mithörten, beließ ich es erst einmal bei dem Gesagten. Ohne aufgehalten zu werden ließen wir Xox hinter uns und ritten hinaus in die sternklare, kalte Nacht. Omjaiden ließ den Schimmel in einen leichten Trab fallen. »Laß uns die Nacht durchreiten und morgen früh irgendwo ein paar Stunden rasten. Ich will so weit reiten wie es geht.« Er tat einfach so, als hätte ich nichts zu ihm gesagt. »Omjaiden, ich will wissen was Du jetzt denkst. Ich habe Angst, Du kannst nicht so tun, als ob nichts wäre.« Ein paar Momente vergingen bevor er mir antwortete:

Kapitel V – Omjaidens Erinnerungen

»Ich habe ganz genau gehört, was Du gesagt hast. Ich weiß auch noch ganz genau, in welcher Verfassung ich damals auf dem Weg zum Kloster war. Ich fühlte mich ähnlich. Nur bin ich von klein auf genau daraufhin erzogen worden. Mein Vater war ein Mudschahed, genau wie sein Vater auch. Als ich alt genug war, begann mein Vater, vom Ehrgeiz gepackt, mich auf meine Karriere vorzubereiten. Alles lag ganz klar vor mir. Ich kam ins Kloster und durchlief es, wie schon gesagt, in Rekordzeit. Alle erfüllte ich mit Stolz. Meinen Vater, meine Ausbilder, jeder sagte mir eine großartige Zukunft voraus. Mein Glaube in Bek und meine Fähigkeiten waren so groß, daß ich an den Hof des Padischas gerufen wurde. Dort sollte ich als Verbindungsmann zwischen dem jungen Padischa Ferret Al Dos und der neu ernannten Hohepriesterin Saris Be Khan fungieren. Nur so nebenbei, nicht einmal der Padischa weiß von den Mudschahed. Aber egal. Es war das Jahr, in dem der Padischa, gekrönt wurde, als ich Deinen Vater kennenlernte und er sich in Deine Mutter verliebte. In diesem Jahr liefen alle Fäden zusammen. Es wurden die Weichen für meinen und dadurch auch Deinen Werdegang gelegt. Ich habe lange über diese Zeit nachgedacht und ich glaube mittlerweile, auch wenn Du mich jetzt für einen Narren halten wirst, daß alles vorherbestimmt ist. Ich werde Dir auch erklären, warum ich zu dieser Überzeugung gekommen bin, die jüngsten Ereignisse haben damit auch zu tun. Du hast mich in der Wüste gefragt, warum ich in das freiwillige Exil gegangen bin. Ich habe Dir versucht zu erklären, was in mir vorging ohne Dir zuviel von den eigentlichen Vorkommnissen zu verraten. Ich denke jetzt ist es an der Zeit, die ganze Geschichte zu erzählen.

Als ich damals an den Hof gerufen wurde, war ich ein junger, ambitionierter und vor allem wortgewandter Priester. Ich konnte jeden mit Ausführungen über Bek in meinen Bann ziehen. Aber schon zuvor wurde die Hohepriesterin auf mich aufmerksam. Da die Mudschahed im Prinzip nur ihrem direkten Befehl unterstellt sind, versuchte sie immer über Rekruten im Bilde zu sein. Einmal im Jahr besucht sie für ein paar Tage das Kloster, um die Weihen vorzunehmen. Die Mudschahed verpflichten sich für Bek einzustehen, wenn es sein muß auch mit ihrem Leben und sie verpflichten sich gegenüber der Hohepriesterin, ihr treu und bedingungslos zu folgen. Dadurch verschafft sie sich eine schlagkräftige kleine Armee, die sie nach Belieben einsetzen kann. Politik, verstehst Du? Nicht nach außen, aber für die Ränkeschmiede innerhalb der Kirche von großer Bedeutung. Nicht immer sind sich die Priester untereinander einig. Auch wenn sie immer geschlossen wirken, passieren innerhalb der Tempelmauern von Zeit zu Zeit Sachen, die würden sie nach außen dringen, die Kirche in ihren Grundfesten erschüttern könnten. Auch Priester sind nicht alle gegen den Reiz der Macht immun.

Aber zurück zu meiner Geschichte. Ich war also am Hof, hatte täglich direkten Kontakt zum Padischa und zur Hohepriesterin. Alles lief hervorra-

gend. Mein Einfluß wuchs, meine Meinung zählte und immer mehr dieser Hofschranzen versuchten mich für ihre Interessen einzuspannen. Ich sonnte mich in meinem Ansehen und dies gepaart mit meiner Naivität ließ mich nicht bemerken, was um mich herum passierte. Warum auch, ich glaubte an das Gute im Menschen, an die Gesetzestreue und an die Priesterschaft. Als ich aus meinem Traum erwachte war es zu spät. Ich weiß bis heute nicht genau, was alles dazu führte, aber eines Tages stand ein Priester in meinen Gemächern und sagte mir ins Gesicht, daß er den Anspruch auf meinen Posten erhebe, denn er wäre ihm versprochen gewesen, bevor die Hohepriesterin mich auf diese Stelle setzte. Mein Gott, ich sehe ihn noch jetzt vor mir stehen. Klein, schmächtig und bestimmt fünf Jahre jünger. Er stellte mir ein Ultimatum. Ich sollte binnen einer Woche verschwinden, in allen Ehren natürlich und mich nie wieder in der Hauptstadt sehen lassen. Dieser Gnom hatte die Frechheit mich, Omjaiden den großen, einflußreichen Mudschahed-Priester herauszufordern? Ich lachte ihm ins Gesicht, schnappte ihn am Kragen und warf ihn eigenhändig aus meinen Gemächern. Vorher machte ich ihm noch sehr deutlich, welch schmerzhafte Folgen ein weiteres Zusammentreffen für ihn haben sollte. In den folgenden Tagen sah ich diesen Mann nicht wieder und ging zur Tagesordnung über. Alles verlief so wie gewöhnlich, die Woche verging wie im Flug, fast schon zu schnell.

Hätte ich damals gewußt, daß es meine letzte Woche am Hofe werden sollte, ich weiß nicht ob ich etwas anders gemacht hätte, aber bestimmt hätte ich alles bewußter wahrgenommen. Genau eine Woche nach diesem schrecklichen Gespräch klopfte es in aller Herrgotts Frühe an meine Tür. Davor standen fünf Männer der Leibgarde des Padischas und forderten mich auf, ihnen unverzüglich zu folgen. Sie gewährten mir nicht einmal die Zeit mich anzukleiden. Verwirrt und nur in mein Schlafgewand gehüllt wurde ich zu Ferret Al Dos geführt. Ohne mir den Grund dieses Zusammentreffens zu verraten wurde ich von einem Offizier verhört. Wo ich den Abend, bzw. die Nacht verbracht hätte. Wo ich meinen Schmuck aufbewahrte und ob ich ein Zimmermädchen mit Namen Fatima kennen würde. Ich beantwortete die Fragen wahrheitsgemäß. Ich wußte nicht, welches der Mädchen nun Fatima hieß, mit Personal hatte ich ja nichts zu schaffen, aber ausschließen, daß ich ihr mal im Flur begegnet war konnte ich nicht.

Nachdem ich geendet hatte wurde ich an einen Tisch geführt, auf dem mein blutverschmiertes Amulett lag. Ich hat es zu meiner Weihe von meinem Vater geschenkt bekommen und legte es nur zum Schlafen ab. Jeder der Anwesenden hatte es schon an mir gesehen. Die Frage ob es meines sei beantwortete ich verwirrt: »Ja, dies ist mein Amulett, aber ich verstehe nicht...«.

In rüdem Tonfall wurde ich von dem Offizier angeblafft: »Beantwortet nur die Fragen, mehr interessiert uns nicht. Ihr gebt also zu, daß dies Euer Amulett ist. Dann wißt Ihr ja auch sicherlich, wo Ihr es verloren habt. Also noch einmal, wo wart Ihr letzte Nacht?« Ich konnte es nicht fassen. Ich wurde behandelt wie ein Schwerverbrecher. Was wollten all diese Leute so früh von mir? Blut auf meinem Schmuckstück und diese verwirrenden Fragen, was hatte dies alles zu bedeuten? »Ihr sollt die Fragen beantworten, oder ist Euer Schweigen ein Geständnis? Ihr wart in der Nacht bei dieser armen Seele und als sie Euch nicht gegeben hat was Ihr von ihr wolltet, da habt Ihr zugeschlagen. Stimmt doch, oder? Gesteht endlich, laßt Euren Gefühlen freien Lauf. Sprecht es aus und die Last dieses schrecklichen Ver- brechens wird von Euren Schultern genommen.« Erschlagen? Ich sollte ein Mädchen erschlagen haben, in dieser Nacht, in ihrem Zimmer? Was war das für ein Wahnsinn? Alles Leben schien aus meinem Körper zu weichen. Das einzige was ich noch wahrnahm war mein Herz, das laut und unregelmäßig in meiner Brust schlug und das fiese Grinsen des Offiziers, der mein Verhalten als Geständnis wertete. »Na Omjaiden, Ihr seht wohl gerade die Kleine vor Euch? Seht sie in dem Zustand in dem Ihr sie verlassen habt. Was hat sie zu Euch gesagt, daß Ihr Euch in solch eine Raserei steigern konntet? Hat sie Euch verspottet, von sich gestoßen, oder konntet Ihr nicht Euren Mann stehen? Hat sie Euch deshalb ausgelacht? Seht Ihr sie vor Euch, dieses arme Geschöpf. Die großen braunen Augen, vor Entsetzen aufgerissen. Die riesige Wunde an ihrem Kopf. Hört Ihr noch wie der Kopf zerplatzte und sich ihr Gehirn auf dem Boden verteilte? Wie oft habt Ihr ihren Schädel gegen die Wand geschmettert? Wie viele Stöße hält so ein zartes Wesen aus? Laßt uns teilhaben an dem Grauen, danach werdet Ihr Euch sicherlich besser fühlen. Steht zu Eurem Verbrechen, Ihr seid ein Priester, verdammt, gesteht endlich!«

Ich konnte diese Szene wirklich sehen. Ich konnte sehen, wie dieses Mädchen starb. Nicht weil es ein Teil meiner Erinnerung war, sondern, weil die Worte des Offiziers mir das Grauen so deutlich vor Augen führte. Ich sollte zu so einer Tat fähig sein? Das war es doch, was sie von mir dachten. Und mein Amulett wurde bei der Toten gefunden? Ich mußte mich verteidigen, mußte ihnen erklären, daß ich mit diesem Verbrechen nichts zu tun hatte. Daß ich die ganze Nacht so tief geschlafen hatte wie schon seit langem nicht mehr. Ich mußte mich äußern. »Äh, ich..., ich...« Wie sollte ich alles erklären? Der Schrecken saß mir so tief, daß meine Zunge und mein Verstand wie gelähmt waren. »Ich, Bek steh mir bei, ich weiß nichts davon. Ich habe geschlafen. Ihr könnt doch nicht annehmen, daß ich zu solch einer Tat fähig bin. Ich bin unschuldig, das muß eine Verwechslung sein.« Der Offizier schüttelte nur den Kopf. »Mehr habt Ihr zu Eurer Verteidigung nicht zu sagen? Omjaiden, wenn Ihr jetzt gesteht gibt es vielleicht noch eine Rettung für Eure Seele. Wenn Ihr allerdings weiter leugnet, werden wir zu anderen Mitteln greifen müssen, um Euch auf den Weg der Wahrheit zurückzuführen. Ich fiel auf meine Knie. »Bei Beks Gerechtigkeit, das könnt Ihr doch nicht allen Ernstes glauben. Welchen Grund sollte ich gehabt haben? Ich kannte dieses Mädchen nicht und nun soll ich für ihren schrecklichen Tod verantwortlich sein. Das ist doch absurd! Bitte glaubt mir, niemals wäre ich zu solch einer Tat fähig.«

Die Tür wurde aufgestoßen und die Hohepriesterin betrat den Raum. Sie verneigte sich vor dem Padischa, der diese Geste aufs freundlichste erwiderte. »Ich kam so schnell ich konnte. Habe ich den Boten richtig verstanden, daß Ihr Omjaiden eines Mordes bezichtigt? Den Mann, der in den letzten Monaten unser uneingeschränktes Vertrauen genoß?« Ferret Al Dos verzog keine Miene. »Ja, die Beweise sprechen für sich. Er leugnet zwar die Tat, aber dies wird keine Auswirkung auf das Urteil haben. Da er ein Priester ist hat er die Möglichkeit, sollte er gestehen, ein ehrenvolles Begräbnis zu bekommen. Sollte er dies nicht tun, werden wir seinen toten Körper den Hunden vorwerfen. Ich habe genug gehört und mein Urteil bereits gefällt.«

Saris Be Khan kam näher und warf mir einen vernichtenden Blick zu. »Ehrwürdiger Padischa, ich möchte mit Euch allein sprechen, jetzt. Gewährt mir diese Gunst.« »Wenn Ihr darauf besteht,« der Tonfall des Padischas wurde immer härter, »schafft diesen Mörder aus meinen Augen. Werft ihn in den Kerker, bis ich das Urteil über ihn ausspreche. Nun Hohepriesterin, glaubt Ihr allen Ernstes, daß Ihr mich umstimmen könnt?« Das war das letzte was ich von diesem Gespräch mithören konnte. Ich wurde auf die Beine gestellt und mit harten Stößen in Richtung Tür bugsiert. Der Kerker befand sich im Keller eines Nebengebäudes. Über eine feuchte Treppe gelangten die Wachen mit mir in ein durch Fackeln erhelltes Gewölbe. Die Zellen waren in den Fels gehauen worden. Ich wurde in die Erstbeste hineingestoßen. Hart fiel ich auf das alte, verfaulte Stroh, das den Boden der Zelle bedeckte und das einzige Inventar darstellte. Als die dicke Holztür zuschlug, verschluckte mich die Dunkelheit. Kein Lichtstrahl drang in mein Gefängnis. Ich legte mich auf den Rücken und tat das einzige was mir in dieser Situation übrig blieb: Ich ergab mich in mein Schicksal. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich schlief oder wachte. Jegliches Zeitgefühl ging mir während meines Aufenthaltes in der Dunkelheit verloren. Jedenfalls öffnete sich irgendwann die Tür und man zog mich heraus ins Licht. Auf einem Tisch im Verließ lag frische Wäsche und eine Schüssel zum Waschen. »Mach Dich sauber, Du stinkst wie ein Schwein. Der Padischa will Dich sehen, also beeile Dich.« Auf der einen Seite war ich dankbar mich waschen zu können, aber andererseits, was machte es für einen Sinn? Man würde mich hinrichten. Die einzige Frage, die mich während meiner Zeit in der Zelle beschäftigt hatte war, ob ich diese Tat begangen hatte oder nicht. Das erschreckende war, daß ich es mittlerweile wirklich nicht mehr wußte. Vielleicht war ich schlafgewandelt oder hatte das Erlebte verdrängt. Es sprach doch wirklich alles gegen mich. Ich wußte auch nicht mehr, ob die Bilder, die in meinen Kopf umher geisterten Erinnerungsfetzen waren, oder das Ergebnis meiner Phantasie, hervorgerufen durch die Erzählung des Offiziers beim Verhör. Ich wußte es wirklich nicht mehr und zweifelte an mir selbst. So oder so, das Ende war vorauszusehen. Ich würde sterben. Über die Art und Weise würde der Padischa entscheiden und wahrscheinlich wollte er mir genau dies jetzt unterbreiten. Die Yaromesen hatten in der Vergangenheit viel Zeit und Kreativität in die Entwicklung von Bestrafungsmethoden investiert. Vielleicht würde man mich vierteilen, oder von Pferden zu Tode schleifen lassen. Vielleicht war der Padischa ja gnädig und gewährte mir einen schnellen Tod durch Enthaupten. Während ich meinen Gedanken über mögliche Todesarten nachging betraten wir einen der privaten Audienzräume. Der Herrscher saß erhöht auf einem Podest. Er hatte es sich zusammen mit der Hohepriesterin auf ein paar Sitzkissen bequem gemacht. Ich wurde vor das Podest geführt und auf die Knie gestoßen. Mit gesenktem Haupt wartete ich auf mein Urteil. Der Padischa war es auch, der das Wort an mich richtete. »Omjaiden, Du wirst verdächtigt auf grausame und extrem brutale Weise ein Zimmermädchen Namens Fatima, ermordet zu haben. Willst Du Dich ein letztes Mal zu dieser Anschuldigung äußern?«

In meinem Kopf tobten die Gedanken, das einzige Wort, das mir über die Lippen kam war ein leises »Nein«. Der Padischa fuhr fort: »Du hast einen hervorragenden Leumund und Du hast mir, wenn auch nur eine kurze Zeit, gute Dienste geleistet. Was aber das wichtigste ist, die Hohepriesterin Saris Be Khan hat mich gebeten, da Du ein Priester bist, Dir eine letzte Gunst zu erweisen. Sie versicherte mir, daß es einen magischen Weg gäbe, zu überprüfen, ob Du die Wahrheit sagst, oder nicht. Wie Du weißt, liegt die Rechtsprechung ausschließlich bei mir und den von mir eingesetzten Adligen. Priester und Magie haben normalerweise keinen Ausschlag auf ein Urteil, aber ich habe mich in diesem besonderen Fall davon überzeugen lassen, hier eine Ausnahme zu machen. Das Verbrechen ist in meinem Haus passiert und ich will wissen, ob Du wirklich eine solche Bestie bist, wie wir vermuten. Die Hohepriesterin wird Dir einen Stein der Wahrheit auf die Stirn legen und Du wirst Deine Aussage wiederholen. Wenn Du die Wahrheit sprichst, lasse ich Dir Dein Leben. Bist Du damit einverstanden?« Jetzt würde es sich herausstellen, ob ich verrückt geworden war, oder ob ich mich doch auf meinen Verstand verlassen konnte. Ob diese Bilder in meinem Kopf Phantasie oder Erinnerung waren. Ich gab mit leisen Worten meine Zustimmung und Saris Be Khan begann mit dem Zauber. Ich wiederholte meine Aussagen und wartete gespannt auf das Ergebnis der Überprüfung. Wenn ich log, bedeutete dies, daß ich nicht mehr zwischen Realität und Traum unterscheiden konnte. Mein Leben hätte sowieso keinen Sinn mehr gehabt. Ansonsten hätte ich meine Freiheit wieder. Die Hohepriesterin erhob die Stimme. »Wie Ihr seht, Ferret, dieser Priester hat die Wahrheit gesagt. Er ist nicht der Mörder, Ihr müßt nach einem anderen suchen.«

Mit einem Schlag wich alle Anspannung aus meinem Körper. Ich kippte vorn über und blieb auf diesen herrlichen Kacheln liegen. Ich hatte plötzlich wieder ein Leben. Mich traf keine Schuld und ich war frei. Vor Erleichterung begann ich zu weinen. Dicke Tränen liefen an meinen Wangen herab und tropften auf den Boden. Ich war nicht verrückt und ich hatte diese arme Seele nicht auf dem Gewissen. Ich war nicht dieses Tier, das so gewissenlos morden konnte. »Ich danke Euch Saris. Ihr habt mich vor einem Fehler bewahrt. Omjaiden, Du bist unschuldig und kannst Dein Leben weiterführen. Aber trotzdem muß ich ein paar Entscheidungen treffen.

Von dem Mord ist bis jetzt noch nichts aus diesem Palast heraus gedrungen. Allerdings wird dies nur eine Frage der Zeit sein und die Leute werden nach einem Schuldigen verlangen. Ich werde meine Bemühungen verstärken, den wahren Mörder zu finden, es kann ja nur jemand gewesen sein, der Zugang zu Deinem Zimmer hatte. Wie sonst soll Dein Amulett zu Fatima ins Zimmer gekommen sein? Vielleicht sollten wir noch einmal das Personal genauer unter die Lupe nehmen. Dein Amulett kannst Du wieder haben, sofern Du Wert darauf legst. Übrigens, sollte jemals herauskommen, daß ich Dich, einen Priester, aufgrund einer magischen Befragung habe laufen lassen, könnte das zu Mißmut unter meinen Adligen führen. Du wirst also einsehen, daß Deine Anwesenheit an meinem Hof nicht länger tragbar ist. Wenn Du erst einmal verschwunden bist, werden die Menschen den Priester, der verdächtigt wurde, schnell vergessen. Du hast bis morgen früh Zeit Deine Sachen zu packen und die Stadt zu verlassen. Saris Be Khan hat mir von Deinen Fähigkeiten berichtet und ich denke, Du wirst bestimmt andernorts einen angemessenen Posten bekleiden können.« Die Erleichterung die mich umfing wich einem anderen Gefühl. Zorn. Ich wurde unschuldig angeklagt, beschimpft, gestoßen und eingesperrt und nun, da meine Unschuld bewiesen war wurde ich fortgeschickt. Entehrt, aufgrund einer Vermutung und mir blieb jetzt nichts mehr als mein nacktes Leben. Alles wofür ich so hart gearbeitet hatte wurde mir in einem kurzen Augenblick entrissen. Ich lag immer noch auf dem Boden, als ich hörte wie die Tür aufging und jemand den Raum betrat. Die Hohepriesterin richtete wieder ihr Wort an mich. »Omjaiden, ich habe mir überlegt, daß es das beste für alle wäre, wenn ich Euch ein Empfehlungsschreiben für den Abt des Klosters in der Nähe von Xixa, meines Lehens auf der Insel Xusa ausstelle. Dort könnt Ihr Euch ganz der Forschung und Eurem Seelenheil widmen. Niemand dort wird je erfahren, in welch schreckliche Angelegenheit Ihr hier verstrickt wart. Yetmer, bringt mir bitte Papier und eine Feder. Omjaiden, darf ich Euch Yetmer Ibn Tasd vorstellen, in der Woche in der Ihr inhaftiert wart, ist er zu Eurem Nachfolger bestimmt worden.« Ich erhob meinen Kopf und sah in das Gesicht des Mannes, der mir zwei Wochen zuvor in meinen Gemächern gedroht hatte. Er versuchte ein gefaßtes Gesicht zu behalten, aber der Triumph war ihm doch deutlich anzusehen. »Du Schwein, Du bist für das alles verantwortlich!« Mit einem lauten Schrei sprang ich auf die Beine. Nun wußte ich wie alles zusammenhing und dafür würde er bezahlen. Ich würde diese schmächtige Figur in der Luft zerreißen. Wenn ich unter den Folgen eines Mordes zu leiden hatte, würde es hier wenigstens den Richtigen erwischen. Ich kam genau zwei Meter weit, dann schlug mir eine der Wachen mit dem stumpfen Ende einer Hellebarde in das Genick. Bewußtlos brach ich zusammen. Als ich das nächste Mal erwachte lag ich auf der Ladefläche eines Wagens, der von einem Maultier gezogen wurde. Meine persönlichen Habseligkeiten hatte jemand in einem Rucksack verstaut, der an meiner Seite lag. Der Wagen wurde von zwei Wachen eskortiert. Wir befanden uns schon außerhalb der Stadtmauern.

Als die Wache bemerkte, daß ich wach war, wurde der Wagen angehalten. »Wir haben Befehl, Euch aus der Stadt zu schaffen. Eure Sachen habt Ihr ja schon gefunden. Hier habt Ihr noch Wasser und Proviant. Und diesen Brief sollen wir Euch geben.« Ich warf den Rucksack vom Wagen, nahm den Brief und die Verpflegung und setzte mich an den Straßenrand. Die Abschiedsworte der Wachen nahm ich gar nicht mehr wahr. So sah also mein zukünftiges Leben aus. Ich öffnete den Brief, er war von der Hohepriesterin:

Omjaiden,
die Art wie Ihr Euch aufgeführt habt, läßt mich ernsthaft an Euch zweifeln.
Wohin Ihr Eure Schritte lenkt bleibt Euch überlassen und wenn Ihr es wünscht,
schreibe ich dem Abt von Xixa:

Seid aber gewarnt, solltet Ihr jemals wieder negativ auffallen,
oder Yetmer Ibn Tasd noch einmal belästigen,
werdet Ihr meinen ganzen Zorn zu spüren bekommen.

Kein Priester des Bek darf sich so benehmen wie Ihr es tatet.
Schuldig oder nicht.
Solltet Ihr noch einmal fehlen, ist das mindeste was Ihr verlieren werdet
Eure Priesterwürde.

Gehet in Frieden und sucht Euren Weg.
Bek beschütze Euch.

Saris Be Khan

P.S.: Yetmer war so freundlich Eure Sachen zu packen. Ich habe ihn angewiesen Euch Euer Amulett beizulegen

Ich zerknüllte den Brief und warf ihn in den Straßengraben. Ich öffnete meinen Rucksack, um den Proviant zu verstauen und nach dem Amulett zu suchen. Auf dem Boden wurde ich fündig. Ich zog das Schmuckstück heraus. Um den Anhänger war ein Papier gewickelt. Ich entfaltete es und las:

Du hättest gehen sollen,

als Zeit dazu war. Y.

Kapitel VI – Flucht nach vorn (Teil II)

Omjaiden sah mir traurig ins Gesicht, während er den Anhänger um seinen Hals durch die Finger gleiten ließ. »Na ja. Den Rest der Geschichte kennst Du ja. Ich ging in die Wüste und diente Deinem Vater.« Schweigend ritten wir weiter. Die Sonne sendete schon ihre ersten Strahlen der Erde entgegen. Die Nacht war schnell vergangen und mein Kopf schmerzte, so viel hatte ich gerade erfahren. Omjaiden, der weise, alte Priester seit meiner Kindheit ein unergründliches Geheimnis, hatte mir während wir über diese Landstraße trabten in wenigen Stunden seine ganze Lebensgeschichte erzählt. Plötzlich sah ich ihn mit anderen Augen. Was hatte dieser Mann alles durchmachen müssen. Wieviel Leid hatte er ertragen müssen. Wie konnte er sich für den Rest seines Lebens damit begnügen, die verzogenen Kinder eines unbedeutenden Wüstenamirs großzuziehen? Am liebsten hätte ich ihn mit weiteren Fragen überhäuft. Aber selbst mir wurde klar, daß es in dieser Situation besser sei zu schweigen. Der Morgen verstrich und wir ritten immer noch schweigend die Straße entlang. Immer wieder fielen mir die Augen zu. Ich war erschöpft und sehnte mich nach einem Bett, oder irgendeiner anderen Lagerstätte. Omjaiden machte allerdings keinerlei Anstalten zu halten. Gegen Mittag konnte ich einfach nicht mehr. »Wie lange wollen wir noch reiten? Ich muß endlich einmal rasten.« Omjaiden drehte sich im Sattel um. »Laß uns mal nach links in diese Hügel hinein reiten. Dort sind wir von der Straße aus nicht zu sehen und können beide ein paar Stunden schlafen. Den Pferden würde es auch gut tun. Leider sind sie nicht so zäh wie Kamele.« Wir fanden tatsächlich einen geeigneten Platz. Sogar eine Quelle gab es in der Nähe, an der sich die Pferde erfrischen konnten. Kaum hatte ich mich auf meine Decke gelegt, schlief ich auch schon ein. Plötzlich belauschte ich wieder Yetmer in dem Tempel in Xox. Alles verlief genauso wie ich es vor einigen Stunden tatsächlich erlebt hatte, bis zu dem Punkt, an dem Yetmer den Raum verließ. Ich schaute wieder zurück auf den Platz, an dem sich die beiden unterhalten hatten und fand ihn leer vor. Als ich mich herumdrehte, um nach draußen zu gelangen, stand plötzlich der verhüllte Mann vor mir. Ein Schrei entfuhr meinen Mund und bevor ich reagieren konnte hatte er mich schon am Hals gepackt und würgte mich. Meine Hände versuchten den Griff zu lösen, hoffnungslos. In Panik versuchte ich ihm auf den Kopf zu schlagen. Auch das mißlang. Allerdings bekam ich seine Kapuze zu fassen, an der ich verzweifelt zog. Der Stoff gab nach und ich hielt seine Kapuze in meinen Händen. Ich schaute wieder zurück, weil ich sein Gesicht sehen wollte und sah... nichts! Dort wo der Kopf hätte sein sollen, war einfach nur Leere! Mein Gegner begann mich kräftig durchzuschütteln und dabei immer wieder meinen Namen zu rufen. Ahmand, Ahmand...

Über mir stand Omjaiden. Immer noch von Panik erfüllt versuchte ich mich aufzusetzen. »Ganz ruhig, Du hast nur geträumt. Tief durchatmen, gleich geht es Dir wieder besser.« Die Sonne stand schon wieder tief am Himmel. Ich hatte wirklich den ganzen Nachmittag verschlafen. Omjaiden hatte während ich schlief ein Feuer entzündet und Tee gekocht. Das warme Getränk zusammen mit ein wenig Brot wärmte meinen Bauch und meine Stimmung verbesserte sich von Bissen zu Bissen. Meine Gedanken kreisten immer noch um Omjaidens Erzählung. »Warum hast Du nie versucht Deinen Namen reinzuwaschen. Daß Yetmer hinter diesem Mord steckt, ist doch mehr als offensichtlich.« Wieder dieser traurige Blick, vielleicht sollte ich dieses Thema erst einmal auslassen.

»Natürlich ist es offensichtlich, weil ich die Zusammenhänge kenne. Aber damals hatte ich nichts gegen ihn in der Hand. Keinerlei Beweise. Selbst jetzt sind es nur Vermutungen, obwohl ich es nun wirklich keinem Priester des Bek zutraue aus Machtbesessenheit so ein unschuldiges Mädchen zu töten. Was ich mir aber vorstellen kann, ist daß er diese Situation in der ich mich befand schamlos ausnutzte.« »Aber sein Ultimatum. Fatima wurde genau eine Woche nach eurem Gespräch ermordet. Und dieses Gespräch in dem Tempel. Ich weiß zwar nicht was es zu bedeuten hatte, aber könnte es nicht sein, daß Yetmer mit den Dämonenanhängern unter einer Decke steckt?«

Omjaiden antwortete in der mir so vertrauten »jetzt-erklären-wir-dem-Kind-mal-etwas« Art: »Ich glaube Du interpretierst zuviel hinein. Ich könnte Dir dieses Gespräch genau andersherum auslegen. Egal was zwischen mir und Yetmer vor all den Jahren vorgefallen ist, er ist ein sehr einflußreicher Priester und wir haben keinen Grund anzunehmen, daß er Bek gegen Alucard eintauscht.« Ich hielt das nicht aus. War dieser alte Mann etwa wirklich so blind? Vor Aufregung lief ich auf und ab. »Dieser Mistkerl hat Dein Leben zerstört, er hat ein Mädchen auf dem Gewissen und ganz bestimmt paktiert er mit dem Bösen. Ich habe ihn gesehen. Ich habe seine Stimme gehört. Und wenn ich wirklich über so etwas wie einen siebten Sinn verfüge, von dem Du immer sprichst, dann kannst Du mir ruhig glauben, dieser Mann würde für Macht seine eigene Mutter erschlagen und ich brauche für diese Behauptung keine Beweise, denn ich weiß es. Und Du weißt es auch, warum sind wir sonst auf der Flucht?«

»Ja, ich weiß es. Du hast vollkommen recht. Aber was sollen wir tun? Wer würde uns glauben? Ich wurde mit Schimpf und Schande verjagt und Du bist ein junger Heißsporn ohne Leumund. Yetmer hingegen sonnt sich im Ruhm. Er hätte sogar genug Macht uns hinter seinem Pferd durch die Hauptstadt zu schleifen, ohne daß ihm jemand eine Frage stellen würde. Also junger Neunmalklug, was schlägst Du vor sollen wir unternehmen?«

Ich wußte es nicht, verdammt, ich wußte es wirklich nicht. Wir konnten nicht zu zweit gegen Yetmers ganze Macht ankämpfen. Aussichtslos. Und doch... irgend etwas mußten wir tun. »Aber natürlich, die Mudschahed! Omjaiden, sie sind die einzigen, die sich Yetmer in den Weg stellen können. Wir brauchen nur nach Xamany zu reiten, die Mudschahed überzeugen und alles wird sich wieder richten. Sie werden diesem Schwein Einhalt gebieten!« Der Priester nickte vor sich hin. »Diesen Gedanken hatte ich auch schon. Die Mudschahed sind schließlich das Bollwerk gegen das Böse. Wenn wir es wirklich schaffen, den Abt des Klosters zu überzeugen, könnte er Kontakt mit der Hohepriesterin aufnehmen. Vielleicht würde sie dann Yetmers Treiben genauer unter die Lupe nehmen. Mit etwas Glück sind auch noch ein paar Priester aus meiner Vergangenheit im Kloster. Ich war einmal bekannt und hatte großen Einfluß, weißt Du.« Endlich hatte er Feuer gefangen. Mit immer größer werdendem Elan begann er Pläne zu machen. Die schnellste Reiseroute, welche Argumente er gegen Yetmer vorbringen würde. Er steigerte sich immer mehr in die Möglichkeit, diesen Abschaum endlich für das bezahlen zu lassen, was er ihm angetan hatte. Ich sah plötzlich den jungen Omjaiden vor mir. Stark, selbstbewußt und voller Tatendrang. Sein Monolog riß mich immer mehr mit. Ich wollte auch ein Teil seiner Rache sein. Wollte mit Omjaiden zusammen gegen die Finsternis kämpfen und sie vernichten. Yaromo sollte nicht länger durch Yetmer, Alucard oder sonst irgendeine Facette des Bösen bedroht werden. Beks Macht sollte in neuem Glanz erstrahlen und die Mudschahed würden Bek zu diesem Glanz verhelfen. Immer mehr wurde ich von der Euphorie erfaßt. Jetzt wußte ich, daß Omjaiden recht hatte. Jetzt wußte ich worin meine Bestimmung lag. Ich würde ein Mudschahed-Kämpfer werden und die Dämonenanhänger würden vor meinem Säbel erzittern. Alles hatte nun einen Sinn. Meine Vergangenheit, unsere Reise, sogar meine Zweifel. Alles führte genau zu diesem Punkt. Schicksal? Bestimmung? Ich wußte es nicht, aber ich würde es herausfinden. Statt in der Nacht weiter zu reiten, gaben wir uns unseren Zukunftsvisionen hin. Von dem seligen Gefühl der Hoffnung erfüllt, verloren wir den Vorsprung, den wir durch Omjaidens überstürzte Flucht vor eventuellen Verfolgern mühsam erreicht hatten. Ein leichtsinniger Fehler, wie sich am nächsten Morgen herausstellen sollte. Wir brachen noch bei Sonnenaufgang auf. Das Feuer hatten wir gelöscht, die Pferde hatten sich erholt und so gelangten wir im roten Licht des anbrechenden Tages wieder auf die Straße, um unsere Reise fortzusetzen. Entgegen unserem ursprünglichen Plan, durch Yaromo zu ziehen, um mir Land und Leute näherzubringen, wollten wir nun auf dem schnelleren Seeweg reisen. Er gestand mir, daß die Reise durch das Land meine Entscheidung ein Mudschahed zu werden beeinflussen sollte. Dies war nun sowieso nicht mehr nötig. Mein Wunsch stand fest und Omjaiden war froh, ja sogar stolz, daß ich mich dazu entschlossen hatte. Wir wollten im nächstgelegenen Fischerdorf einen Kahn samt Mannschaft heuern, der uns, vorbei an den Küsten von Xarvi und Xyrien direkt nach Xantippe, der größten Stadt in Xamany bringen sollte. Geld spielte dabei keine Rolle, Omjaiden war durch meinen Vater mit umfangreichen Geldmitteln ausgestattet worden. Wir folgten immer noch der Straße, als wir gegen Mittag einen kleinen Wald passierten. Im düsteren Zwielicht erkannten wir vor uns einen Wagen, der am Straßenrand stand. Ein Mann machte sich, anscheinend vergebens, an einem Rad zu schaffen. Wir ritten heran und begrüßten den Mann.

»Ah, endlich kommt jemand. Verzeiht bitte, ich bin ein Bauer und komme gerade vom Markt. Mein Rad scheint kaputt zu sein, ich kann es aber nicht reparieren. Würdet Ihr bitte so freundlich sein und mal mit anpacken? Es dauert auch wirklich nur einen Moment.« Omjaiden und ich wechselten einen Blick. Wir waren den ganzen Tag noch keinem Menschen begegnet. Wenn wir diesem armen Mann nicht helfen würden, konnte es noch lange dauern, bis sich jemand anderes finden würde. Wir stiegen also ab, banden unsere Pferde am Wagen fest und halfen den Wagen abzustützen. »Wo kommt Ihr her, wenn man fragen darf. Ihr seht nicht so aus, als ob Ihr von hier seid.« Ich hatte schon die ersten Worte ausgesprochen bevor ich Omjaidens scharfen Blick sah. »Wir kommen aus der Xill und sind auf der Durchreise.« Interessiert nahm der Bauer den Faden auf. »Ihr seht aus wie ein Priester. Sollte dies stimmen vergebt mir meinen Ton, ich habe es nicht sofort erkannt.«

»Schon gut, Bek wird Euch dies bestimmt verzeihen und ich erst recht.« Bevor ich wußte was geschah, zog der Bauer mir meinen eigenen Säbel aus der Scheide und bedrohte mich. Aus dem Unterholz kamen plötzlich noch drei Kumpanen heran gelaufen, ebenfalls mit Säbeln bewaffnet. Alle vier formierten sich ein paar Meter vor uns. »Dann seid Ihr die Richtigen. Der Meister wird entzückt sein, wenn wir ihm Eure Köpfe in einem Korb überreichen und Alucard wird uns reichlich entlohnen.« Omjaiden schob sich zwischen mich und die Angreifer. Sie fächerten etwas auseinander, zeigten aber sonst keine Anstalten näher heranzukommen. Omjaiden hob seine Hand und machte eine kreisförmige Bewegung. »Ihr werdet uns ziehen lassen. Wir waren niemals hier.« Das Grinsen des »Bauers« wurde immer breiter. »Netter Versuch. Unser Meister hat uns schon auf Deine erbärmliche Magie vorbereitet.« Er zog einen Anhänger unter seinem dreckigen Hemd hervor. »Siehst Du. Du kannst soviel zaubern wie Du willst, gegen Alucard und den Meister kannst Du nichts ausrichten. Macht Euch bereit zu sterben. Zeit für ein letztes Gebet, Priester.«

Der Bauer stürmte mit erhobenem Säbel auf Omjaiden zu. Zu meiner Verwunderung blieb mein Begleiter ebenso still stehen, wie die anderen Dämonenanhänger, die ihrem Freund wohl den Vortritt lassen wollten. Der Angreifer holte zu einem mächtigen Schlag über seine rechte Schulter aus. Omjaiden hatte ihm seine linke Seite zugewandt. Gerade als der Schlag erfolgen sollte, glitt der Priester in den Angreifer hinein und blockierte mit seiner linken Hand den Angriff des Gegners. »Ich brauche keine Magie um mit so einem stinkenden Misthaufen wie Dir fertig zu werden. Ich bin ein Mudschahed.« Mit diesen Worten stieß der alte Mann dem gut vierzig Pfund schwereren Gegenüber das Knie zwischen die Beine. Mit schmerzverzerrtem Gesicht ging der Mann in die Knie. Omjaidens Linke umfaßte immer noch die Rechte des anderen. Omjaiden machte eine seltsam anmutende Drehung mit dem rechten Handgelenk und aus dem »dicken Scharnier« des Armreifens fuhr wie der Fühler einer Schnecke, nur tausend mal schneller, ein ungefähr vierzig Zentimeter langer Metalldorn heraus. Deshalb wirkten diese Armreifen so seltsam. Dieser Metalldorn war das letzte was der Angreifer zu sehen bekam, als Omjaiden ihm diesen durch das Auge in den Schädel jagte. Blut spritzte aus der Höhle über die Hand des Priesters, als er den Dorn wieder herauszog. Ohne einen weiteren Ton fiel der Mann in sich zusammen. Wo einst sein Auge war ergoß sich ein kleiner, roter Strahl, der den Waldboden aufweichte.

Fast zärtlich drehte Omjaiden nun sein linkes Handgelenk, aus dem ebenfalls ein Dorn fuhr. Erst das Klicken, mit dem der Dorn einzurasten schien, brachte wieder Bewegung in die Gruppe der Angreifer, die bis jetzt starr vor Entsetzten auf ihren toten Kameraden blickten. Zu dritt drängten sie auf Omjaiden ein. Es war unglaublich mit welcher Ruhe und Präzision sich dieser alte Mann bewegte. Welch mächtiger Kämpfer mußte er erst in seiner Jugend gewesen sein. So etwas hatte ich bis zu diesem Tag noch nicht gesehen. Der erste der drei, ein bärtiger, übergewichtiger Mann führte einen Stoß, der Omjaidens Gedärme durchfahren sollte. Dieser drehte sich allerdings aus der Stoßrichtung und kam so auf die gleiche Höhe wie der Angreifer, der damit zwischen seinen Kumpanen und Omjaiden stand. Der heftige Angriff kam erst einmal zum Erliegen, da der Gegner nicht erreichbar war. Wie im Vorbeigehen richtete der Priester den Bärtigen mit einem Stoß der Linken. Der Dorn bohrte sich von hinten durch den Hals und trat vorne direkt unter dem Kehlkopf wieder aus der Haut. Als ob der Priester mit seiner »Trophäe« protzen wollte drehte er den Körper in Richtung der verbleibenden zwei und brachte den Bärtigen wieder zwischen sich und die Angreifer. Diese wurden, als Omjaiden seine Waffe aus dem Körper herauszog von einer Blutfontäne überschüttet. Der Körper wurde gegen die blutüberströmten Dämonenanhänger gestoßen, die angeekelt versuchten diesem auszuweichen. Es war wie im Schlachthaus. Omjaiden kannte keine Gnade, im Gegenteil. Er schien sich eher einen Spaß daraus zu machen, diese Menschen so blutrünstig wie möglich zu töten. Als ob er mit dem Blut der Opfer seine Verbitterung wegspülen könnte.

Nur die Faszination der Kriegskunst, die Omjaiden zur Schau stellte ließ mich dieses Gemetzel ertragen. Ich schwankte zwischen Ehrfurcht und Ekel. Ich konnte meinen Blick einfach nicht abwenden. Nur noch zwei. Diese hatten ihren Schock überwunden und nahmen Omjaiden von zwei Seiten in die Zange. Fast gleichzeitig griffen sie mit ihren Säbeln an. Der Priester kam in die Defensive und konnte nur die Schläge der Gegner abwehren. Etwa vier Meter vor mir lag der erste Tote, der immer noch meinen Säbel in seiner Hand hielt. Ich wand die Waffe aus den toten Fingern und trat von hinten an einen der Angreifer heran. Er hatte meinem Schlag nichts entgegenzusetzen. Mein Säbel teilte seinen Körper von der Schulter bis zur gegenüberliegenden Hüfte. Ungläubig konnte ich dabei zusehen, wie die Körperteile auseinander klappten und nacheinander zu Boden fielen. Mit entsetztem Gesicht ließ ich den Säbel fallen. Ich konnte meinen Blick nicht von diesem entsetzlichen Anblick abwenden. Dieser Mann war durch meine Hand gestorben. Ich hatte ihn von hinten kaltblütig abgeschlachtet. Er hatte nicht die geringste Chance. Hatte er Familie, Kinder die ihn nun vermissen würden, niemals erfahren konnten, daß ihr Vater hier in diesem Wald durch meine Hand seinen Tod fand?

Etwas blitzte an der Seite meines Blickfeldes auf. Bevor ich realisieren konnte was geschah, hielt mich der letzte der Angreifer von hinten umschlungen und drückte mir einen Dolch an die Kehle. Den Säbel hatte er wohl im Kampf mit Omjaiden verloren. Nun versuchte er mich als Schild zwischen sich und den Priester zu bekommen. »Bleib zurück. Wenn Du nicht tust, was ich Dir sage, werde ich ihm diesen Stahl ins Herz jagen. Dann gäbe es ein verzogenes Muttersöhnchen weniger auf der Welt. Kein großer Verlust, also bleib stehen wo Du bist. Ich will nur hier weg.«

»Laß den Jungen gehen, dann geschieht Dir nichts.« Omjaidens Stimme klang ruhig und sicher. »Das soll ich Dir glauben alter Mann? Ich habe eine bessere Idee. Du gibst mir Dein Geld und ich nehme den Kleinen als Geisel. Wenn ich aus dem Wald raus bin, laß ich ihn laufen, was hältst Du davon?« Omjaiden richtete sich zu seiner vollen Größe auf.

»Ich warne Dich. Du hast gesehen, was ich mit Deinen Freunden angestellt habe. Laß den Jungen los, oder Du wirst den Sonnenuntergang nicht mehr erleben.« Der Dolch drückte mir immer stärker ins Fleisch. »Ihr eingebildeten Priester. Ich habe keine Angst mehr vor Euch. Eure Tage sind gezählt! Alucard ist mächtiger als Bek es jemals war und ich stehe unter seinem Schutz. Soll ich Dir sagen was ich jetzt mache? Erst schneide ich diesem Kind hier die Kehle durch und dann wenn Du lange genug zugesehen hast, wie das Leben aus ihm herausfließt, werde ich Dich töten. Alles zu Ehren von Alucard. Hörst du Satansherz, dieses Opfer ist für Dich.« Ich schloß die Augen, nun war es soweit. Wäre ich doch nur zu hause geblieben. Aber der stechende Schmerz an meinem Hals blieb aus. Der Druck um meinen Körper war plötzlich verschwunden. Ich konnte hören, wie der Dolch zu Boden fiel. Vorsichtig öffnete ich meine Augen und sah das besorgte Gesicht von Omjaiden vor mir. »Alles in Ordnung?«

»Ob alles in Ordnung ist?«,schoß es aus mir heraus, »diese Mistratte hat versucht mich zu töten. Ich habe gedacht, jetzt ist es vorbei und Du hast die Nerven mich zu fragen, ob alles in Ordnung ist?! Ich schäumte vor Wut und drehte mich um, mit der Gewißheit dort einen Meuchelmörder am Boden zu sehen, der irgendwie ausgeschaltet worden war. Doch ich sah nichts. Der Dolch lag auf dem Boden, auch die Kleidung dieses Verbrechers lag vor meinen Füßen, aber von dem Mann selbst fehlte jede Spur.

»Wo ist er hin? Was hast Du gemacht?« Omjaidens Blick wurde seltsam. »Ich hatte ihn gewarnt, aber er mußte es darauf anlegen. Seine Existenz ist ausgelöscht. Er steht jetzt vor Bek und wird vergeblich um Gnade winseln.«

»Du hast ihn mit einem Zauber getötet? Aber der Anhänger. Ich dachte Deine Magie würde nicht funktionieren.« Omjaiden nahm mich beruhigend in den Arm. »Das dachten die anderen zum Glück auch. Dieser Anhänger war nicht mächtig genug, einen solchen Zauber zu neutralisieren. Dieser Spruch wird normalerweise von den Priestern in Schlachten gesprochen, um ganze Heeresteile verschwinden zu lassen. Die Mudschahed haben einen Weg gefunden, ihn für ihre Zwecke zu modifizieren. Er kann nach wie vor nur einmal im Monat angewendet werden, aber es dauert nur Sekunden ihn zu wirken. Leider ist die Wirkung nicht ganz so mächtig, aber mächtig genug gegen dieses Amulett.«

Der Priester nahm sich die Armreifen ab und begann sie zu säubern. Blut und Hautreste bedeckten die zuvor glänzenden Dornen. Ich folgte mit meinem Blick seinen Bewegungen. »Wunderbare Waffen, nicht war? Damit hatten unsere Freunde nicht gerechnet. Dachten wohl, sie hätten leichtes Spiel mit einem alten Mann und einem Grünschnabel. Wird diesen Dämonenanhängern wohl eine Lehre sein. Weißt Du, diese Dornen sind aus geweihtem Silber angefertigt. Damit könnte ich sogar einen Widergänger vernichten. Sie wurden extra für mich angefertigt, damals als ich noch im Kloster lebte. Wenn ich ehrlich bin, dann muß ich gestehen, daß ich sie heute das erste Mal benutzt habe. Ich wußte schon, warum ich sie die ganze Zeit getragen habe, wir können nicht vorsichtig genug sein.«

Er hatte die Dornen gesäubert und ließ sie wieder mit einem metallischen Klicken zurückfahren. Wie zu sich selbst sprach er weiter: »Die Jagd auf uns ist anscheinend eröffnet. Es sieht so aus als ob wir die dunklen Mächte nervös gemacht haben. Ob Yetmer dahinter steckt oder nicht, wir müssen so schnell und so unauffällig wie möglich das Kloster erreichen. Diese Strolche werden nicht die letzten sein, die uns nach dem Leben trachten. Wir werden in See stechen, wie besprochen.« Omjaiden ging zu dem ersten Toten und nahm ihm das Amulett ab. »So etwas habe ich noch nie gesehen. Die alten Schriften erzählen von Gegenständen, die ein Anti-Magiefeld erzeugen können. Allerdings ist dieses Wissen seit langem verschollen. Wir werden dieses Amulett mitnehmen, die Mudschahed können es vielleicht untersuchen. Scheinbar ist es nur aktiviert, solange es getragen wird. Ich spüre, wie ich ungehindert Magie wirken kann. So lange es niemand um den Hals trägt, schränkt es mich nicht ein.«

Er ließ den Anhänger in seiner Hosentasche verschwinden. »Wollen wir nicht wenigstens die Toten begraben bevor wir weiterziehen?« Der Anblick der Leichen jagte mir einen Schauer über den Rücken. »Und noch mehr Zeit vergeuden? Nein, wir müssen uns in Sicherheit bringen. Wenn Du willst, dann schneide das Maultier los und lasse es frei, aber dann nichts wie weg.« Ich zog also die Leichen nur an den Straßenrand und entließ das Maultier, das den Wagen gezogen hatte in die Freiheit. Omjaiden saß schon auf seinem Schimmel und wartete ungeduldig. Als auch ich endlich im Sattel saß, galoppierten wir so schnell es ging in Richtung Meer. Irgendein Schiff würde uns schon nach Xamany bringen.