Saga von Zamira
Wasser.
In diesem Land gab es überall Wasser.
Es plätscherte und gurgelte in Flüssen, hing morgens in schweren Schwaden zwischen den Bäumen, lauerte in Mooren, rollte in großen Wogen gegen die steil aufragenden Klippen, fiel in völliger Lautlosigkeit als Schnee, flüsterte oder prasselte als Regen auf das Land.
Und ging Zamira mittlerweile gehörig auf die Nerven.
Verärgert betrachtete sie den schlammigen Rock, der schwer und kalt an ihren Waden klebte. Sie war nur eben in den Stall geeilt um sicher zu gehen, dass die Tiere in diesem Herbststurm gut untergebracht waren. Auf dem kurzen Weg war sie den hier zornigen und unberechenbaren Elementen schutzlos ausgeliefert gewesen – und das hatte sie nun davon: ihr Lieblingskleid war praktisch ruiniert. Sie würde es einem ihrer Mädchen geben müssen, damit sie schauen könnten, ob mit Holzasche und… schon wieder Wasser…. noch etwas zu retten wäre.
Daheim, oder das was sie lange Zeit als ihr Zuhause angesehen hatte, war das Wetter nicht so kompliziert. Heiß am Tag und eiskalt in der Nacht. Aber verlässlich. Dafür waren die Menschen dort komplexer: temperamentvoll, hitzig, Lachen und große Dramen lagen meist poetisch (und anstrengend) nah beieinander.
Hier konnte man davon ausgehen, dass jeder Mensch, dem man begegnete, dieselbe starre, abweisende Haltung an den Tag legen würde wie die Landschaft, die seit jeher den Eindruck vermittelte, als sei sie einem wegen irgendetwas böse.
Zamira wand sich aus ihrer klammen Kleidung und glitt in den mit dampfendem Wasser gefüllten Holzzuber. Schön, räumte sie innerlich ein, in diesem Falle wusste sie durchaus zu schätzen, dass das Element Wasser hier fast unendlich verfügbar war. Während ihr das das fast verschwenderisch verwendete Wildrosenöl in die Nase stieg, wurde Zamira klar, dass sich die Menschen ihrer alten und neuen Heimat trotz der oberflächlichen Unterschiede im Kern ähnlich waren.
Stolz, loyal ihrem Volke gegenüber und wenn man es geschafft hatte, durch zum inneren Kern vorzudringen, hatte man einen Freund fürs Leben.
Ob es das war, dass sie damals dazu gebracht hatte, ohne groß nachzufragen dem geheimnisvollen Fremden, auf sein Schiff zu folgen? Lieber das, als zuzugeben, dass sie sich wie eine dumme, liebeskranke Gans verhalten hatte. Zamira verdrehte die Augen – sie waren grün, das einzig wirklich bemerkenswerte an ihrem Erscheinungsbild. Aber dumm (vielleicht) und liebeskrank (ganz sicher) zum Trotz: Björn Borisson hatte sie glücklich gemacht. Leider war er viel zu selten auf dem heimischen Hof, da er dem Uljarl als Berater bei der Lenkung des Reiches zur Seite stand. Aber er schrieb viele Briefe, schickte ihr Bücher, die bis dahin eine Seltenheit in der Gegend waren, da die Nordmänner ihre Geschichten nicht niederschrieben. Er hatte ihr die Verwaltung des ansehnlichen Gutes anvertraut. Unter ihrer Obhut gedieh es, auch wenn man dem harten Boden jede Ähre einzeln abringen musste. Er ermunterte sie, ihre magischen Fähigkeiten fortzubilden, sie aber darum gebeten, dabei diskret zu sein.
Der einzige Schatten, der über ihrer Verbindung lag, war das Ausbleiben von … oder eher das Nicht-Ausbleiben von Zamiras Blutungen. Sie hätte sich ein Kind gewünscht, aber ihre Taille blieb schlank (mehr.. oder weniger).
In letzter Zeit waren jedoch die Briefe ihres Mannes ausgeblieben.
Das war bisher noch nie geschehen und Zamira begann, sich Sorgen zu machen. Entschlossen stieg sie aus dem Zuber mit dem mittlerweile erkalteten Wasser und griff nach dem bereitgelegten Unterkleid.
Gerüchteweise war der Hof in Althingard, ihrer Stadt, eingetroffen und sie beabsichtigte, die Gelegenheit zu nutzen, um einige Fragen zu stellen…