Die Begegnung mit dem Sturmratsführer
Ich stand am Rande der Halle, unsicher und beinahe verloren. Überall erhoben sich Stimmen, die Jarle debattierten, ihre Hände gestikulierten heftig, ihr Atem dampfte in der kalten Luft. Dann fiel plötzlich Stille ein – wie von unsichtbarer Hand befohlen.
Ein Mann trat hervor. Nicht der größte, nicht der prunkvollste, doch jeder Blick wandte sich ihm zu. Sein Haar war silbern, sein Mantel aus grauem Wolfsfell hing schwer über den Schultern, und ein Band mit eingeprägten Runen lag quer über seiner Brust. Er wirkte nicht wie ein Krieger, eher wie jemand, der selbst den Sturm zum Schweigen bringen konnte.
„Das Recht beginnt,“ sprach er, und seine Stimme hallte tief, ohne laut zu sein. Ich spürte, wie selbst die Maschine in der Mitte der Halle zu antworten schien: ein dumpfes Grollen, ein Aufblitzen der Runen.
Er legte die Hand auf den schwarzen Griff der Maschine. Augenblicklich flammten die Runen auf, Zahnräder drehten sich, und ein Atemzug von Rauch und Glut erfüllte die Halle. Alle Jarle senkten ihre Köpfe, als hätte sich eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen und der Welt erhoben.
Der Mann sprach weiter: „Die Runen hören. Die Götter wachen. Die Wahrheit wird sprechen.“
In diesem Moment verstand ich: Das war der Sturmratsführer – der Hüter der Runen, der Wächter des Rechts. Er war kein Herrscher, sondern etwas, das noch größer und zugleich stiller war. Und obwohl ich kaum begriff, was vor mir geschah, wusste ich, dass ohne ihn keine Entscheidung in Nordheim Bestand haben konnte.
Als ich dem Sturmratsführer das erste Mal gegenüberstand, sah er mich nur kurz an. Sein Blick war so klar, dass ich das Gefühl hatte, er könne selbst meine unausgesprochenen Gedanken wie Runen auf einem Stein lesen.
„Du bist ein Fremder,“ sagte er leise, „doch auch Fremde tragen Wahrheit oder Lüge in sich. Hüte beides.“
Er ging weiter, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen. Aber in mir hallten seine Worte nach wie das Grollen der Maschine – unausweichlich und schwer.
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