Die Befehlsgewalt Narajanas
Nachdem einige Zeit vergangen war, wurde Narajana unruhig. Einem Regenten von Weisheit musste auffallen, wenn von den anderen Koryphäen des Reiches nichts mehr zu hören war. Putsch, Bürgerkrieg, Unfähigkeit? Alles war möglich. Der Reichsgeheimdienst wurde einberufen. Doch auch dieser konnte nichts wesentliches berichten. Narajana war erschüttert. »Keine Nachricht dringt an meine Ohren, kein Ärger, den die beiden entfacht haben. Das geht nicht mit rechten Dingen zu!« Nachdem sich seine Unruhe in den späten Abendstunden immer weiter steigerte, verfasste er höchstselbst einen Befehl zur Neuregelung des Rüstungswesens, übergab diesen einem berittenen Boten und wies ihn an, schnellst möglichst den herrscherlichen Willen hinauszutragen.
Wieder geschah nichts. Wurde seine Anweisung etwa ohne Widerspruch akzeptiert? Zutiefst beunruhigt, ließ er seinen Wagen, einen leichten Mittelklasse-Vierspänner mit verstärkten Achsen und großer Bodenfreiheit vorfahren, der als bestes geeignet war, die ausgezeichneten Northeimer Reichsstraßen zu überwinden.
Vor dem derzeitigen Amtssitz des Festungsherrn, einige Tage später hielt ein vor Wut schäumender Reiter auf einem vor Anstrengung schäumendem Roß, weitere drei edle Pferde an einem Strick hinter sich. Die reiterlosen Pferde hatten Bruchstücke aufgebunden, die bei näherem Hinsehen ursprünglich ein Wagen gewesen sein mußten. Genau ließ sich das jedoch nicht mehr feststellen. Er sprang ab, warf der Wache die Zügel um den Hals und sah zu, wie sich die Pferde mit der Wache um die nächste Ecke entfernten. Alsdann betrat er das Verwaltungsgebäude und suchte den wachhabenden Offizier. Die Suche führte an mehreren leeren Zimmern vorbei, bis er in einen Raum hineinplatzte, wo neben Helvegr auch Kavonar sowie einige Heerführer in ein Gespräch vertieft waren. Während die Heerführer sofort die einem Herrscher gegenüber angezeigte Haltung annahmen, rückte Kavonar einen Stuhl zurück. »Unser aller Herrscher...«, ein Blick musterte den Eingestaubten der kurz vor dem Platzen schien, »...Helvegr, jetzt können wir ihn fragen.«
Narajana holte tief Luft, stemmte die Hände in die Hüfte und sah den beiden fest in die Augen, während der von der Kappe rieselnde Straßenstaub den herrschaftlichen Anblick leicht beeinträchtigte. »Ich komme hier her und wen und was sehe ich.... was?« Drohend und anklagend erfüllte die Stimme den Raum. »Erkennt er uns vielleicht nicht?«, fragte Helvegr den vor ihm sitzenden Kavonar besorgt. »Es kommt mir so vor. Er scheint überhaupt etwas desolat.« »Ist das eine Art, mit meinem Vertrauen umzugehen! Helvegr, Festungsherr Northeims. Ich habe Dir die Macht gegeben, in meinem Sinne über diese Gegend zu herrschen. Ist es in meinem Sinne, dass Straßengräben auch mit einem geländegängigen Vierspänner unpassierbar sind? Das sich Reisende im Staub der Straße wiederfinden, bedeckt von Bruchstücken ihres einstmals herrlichen Reisewagens nachdem sie eine Kurve durchfahren haben?« Betretenes Schweigen folgte diesen Worten. »Willst Du mir nicht antworten, Helvegr?« Dieser sah auf. »Hm, Du hast vielleicht meine Geschwindigkeitsbeschränkung an dieser Stelle nicht beachtet.« »ICH soll MICH in MEINEM Reich beschränken lassen?« »Die Leute dieser Gegend fahren übrigens um Gräben herum statt mittendurch. Außerdem kostet eine Reparatur Geld und nach Anweisungen von Dir ist die Rüstung der Truppen bevorzugt zu behandeln.« Narajana glich einem Gewitter. »Unwürdiger... aber ich lasse zweimal Gnade vor Recht ergehen. Das erste und das letzte Mal! Zeige die Rüstungslisten!«
Ein Heerführer verschwand und brachte lange Aufstellungen über die Aushebung der neuen Truppen. Sekunden später dröhnte eine Faust auf dem Tisch. »Wo sind die Schiffe, die ich zu bauen befahl? Hier stehen hunderte, was sage ich, Dutzende Krieger die ausgehoben wurden und wo sind Schiffe? Sollen wir zu Fuß über das Wasser? Ihr wagt es, Euch meinen Befehle zu widersetzen?« Kavonar sah auf. »Welche Befehle denn?« Helvegr flüsterte ihm leise zu »Was machen wir, wenn es schlimmer wird?« Narajana zwang sich zur Ruhe. »Den Befehl, den Euch mein Bote vor wenigen Tagen überbracht hat und der befahl, eine Flotte zu bauen!« »Welche Flotte? Nach Avallon kommen wir auch zu Fuß?«
Narajanas Zustand wirkte besorgniserregend, wie Kavonar feststellen musste und wurde mehr und mehr bedenklich. »Hast Du, Narajana, denn Nachricht von unserem Boten erhalten?« »Ihr schickt mir einen Boten trotz meiner Ankündigung, zu kommen? Seid ihr von Sinnen?« Helvegr sah Kavonar besorgt an und zog ein Dokument unter dem Tisch hervor, sah es an und reichte es Narajana. »Nun schau Dir einmal dieses Schreiben an.« Dieser trat damit an das Fenster und besah sich das Dokument. »Eine solche Schrift ist mir noch nie vor Augen gekommen! Welcher Esel hat dies verfaßt? Wie kommt mein Siegel auf diese Schmiererei?« Kavonar stand auf. »Ja, was steht nun da drin?« »Das ist keine Schrift, das ist ein Zumutung. Ich erkenne nichts, ihr vielleicht?« Helvegr und Kavonar zuckten mit den Schultern und schüttelten betrübt den Kopf. »Was ist das?« Helvegr fasste sich. »Dieses Schriftstück wurde uns von dem Eilboten übergeben.« »Aber man kann doch nichts lesen.« »Und so haben wir einen Boten zu Dir geschickt, um zu fragen, was wir tun sollen weil wir es nicht lesen konnten!«
Narajana stand auf und sah aus dem Fenster. Die Vögel zwitscherten, auf dem Truppenübungsgelände fanden Übungen statt. »Vielleicht war es wirklich ein bisschen spät, als ich diese Order verfasst habe.«, murmelte er nachdenklich und erinnerte sich des nunmehr leeren Fasses, dass seine Einsamkeit geteilt hatte.
